Ich habe nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden sind nicht von hier!
(aus: Asterix / Das Geschenk des Cäsar)
In einem Interview des Deutschlandfunks vom 15.12.2014 mit dem Leipziger Soziologen Oliver Decker über die Pegida-Demonstrationen sagte dieser folgenden Satz:
„Ich halte nicht viel davon, hier von Sorgen und Ängsten zu sprechen, denn was ich sehe ist Aggression.“
Besucht man einen Pegida-Aufmarsch in Dresden, wie ich am 12.01.2015, gewinnt man in der Tat nicht den Eindruck, dass die Menschen dort Angst haben. Sie sind sehr selbstbewusst „das Volk“, das ultimative Forderungen stellt. Spürbar sind weniger Ängste, als Zorn: die zornige Absicht zu unterscheiden zwischen „denen“ und „uns“.
Nicht wenige Kommentatoren und Politiker aber sind anderer Ansicht, wenn sie „berechtigte Ängste und Sorgen“ diagnostizieren. Nach dem Motto: Irrational zwar, aber verständlich! Diffuse Ängste!
Diffus – aber interessanterweise immer sehr zielgerichtet! Garantiert stets gerichtet gegen jene Menschen, die sicher nicht für die – angeblichen oder tatsächlichen – Alltagsprobleme zorniger sächsischer Kleinbürger verantwortlich zu machen sind. Auf diese viel Verständnis zeigende Interpretation des Phänomens Pegida kommt nur, wer diese Menschen als Wahlvolk im Blick hat: „wir verstehen Euch!“, schallt es den Demonstranten entgegen. Soll heißen: „wählt uns!“
Wer so Tausende aus der meist gutsituierten bürgerlichen Mitte Deutschlands zum psychologischen Fall erklärt, weil er ihnen Ausländerfeindlichkeit nicht unterstellen will, übersieht den Eklektizismus der Ausgrenzung all dieser keineswegs auf Deutschland und schon gar nicht auf Sachsen beschränkten Bewegungen: Die Beliebigkeit beim Dingfest machen derer, die hier „bei uns“ nichts verloren haben. Eine Beliebigkeit, die sich an den weltpolitischen Konjunkturen der Völker, der Nationen und der Kriege orientiert.
Jahrhundertelang waren es die Juden, die „Internationalisten“ (Hitler), die einer nationalen Einheit des Volkes im Wege standen. In Deutschland selbst dann noch, nachdem zehntausende von jüdischen Urgroßvätern im 19. Jahrhundert zum Protestantismus konvertiert und ebenso viele Väter im Ersten Weltkrieg fürs Vaterland gefallen waren. Sie sind bis heute dem Verdacht ausgesetzt, nicht dazuzugehören. Nur sagen darf man dergleichen nicht mehr, schon gar nicht in Deutschland. Der Antisemitismus lebt, aber nur subkutan.
Immer waren und sind es auch die Ausländer, vor allem jene, die aus Ländern stammen, auf die man herabblicken kann und die ihren Bürgern selbst keine anständige Existenz ermöglichen. In den Sechziger Jahren der alten Bundesrepublik waren die Italiener die „Spaghettis“, verachtete „Gastarbeiter“, später, mit dem Erfolg Italiens in der EU, übernahmen die Türken diese Rolle. Die DDR hatte ihre „Fidschis“. Den Siegermächten gegenüber, Briten, Franzosen, Russen oder Amerikanern, verhielt man sich jedoch respektvoll.
Jetzt, wo wir auch offiziell ein Einwanderungsland sind und uns über jede Arbeitskraft freuen (sollen), egal welcher Hautfarbe, hat, so scheint es, auch der normale Ausländer als Ausländer langsam ausgedient. Schwierige Zeiten also für das Bedürfnis nach völkischer Ausgrenzung! Dem Internationalismus des Geschäfts sei Dank.
Doch es gibt den Islamischen Staat und al-Kaida, die Bürgerkriege des Orients und deutsche Salafisten! Der Islamismus und mit ihm eine ganze Weltreligion erfüllt zur Zeit perfekt alle Kriterien einer Hassprojektion: er steht für eine minderwertige Kultur, er läßt sich als uneuropäisch ausgrenzen, als brutal und frauenverachtend, als undemokratisch und integrationsunfähig.
Fehlt nur noch, dass plötzlich Zehntausende aus dieser Region mit – oder auch ohne – Kopftuch und Koran in Deutschland Zuflucht suchen und auch gewährt bekommen: Jetzt endlich können die Dämme brechen! Denn der islamistische Fundamentalismus ist auch offiziell als Feind identifiziert. Auch die Hooligans haben endlich wieder einen Feind, in dessen Namen sie prügeln können! Wen kümmert da noch der Unterschied zwischen einem salafistischen Hassprediger und der Rektorin einer Mädchenschule aus Kabul, die eben genau vor diesem flieht?
Nicht diffuse Ängste, sondern das Bedürfnis nach Ausgrenzung ist der Schlüssel zum Verständnis einer Massenbewegung, die sich geriert, als sei sie jahrzehntelang ausgehungert worden. Wir sind das Volk! Wie die Bürger der DDR nach Freiheit und D-Mark dürsten diese „wütenden Opportunisten“ (Durs Grünbein) danach, endlich aus dem Volk alles Undeutsche entfernen zu dürfen. Zumindest all jene, die ihrer Meinung nach aktuell konsensfähig als undeutsch – Verzeihung, uneuropäisch – zu identifizieren seien.
Genau das hat übrigens die Bundeskanzlerin Angela Merkel erkannt, wenn sie in Ihrer Neujahrsansprache 2015 sagt: „Sie rufen: Wir sind das Volk. Aber sie meinen: Ihr gehört nicht dazu – wegen Eurer Hautfarbe oder Eurer Religion!“, außerdem warnt sie „vor dem Hass in deren Herzen“.
Ängste vor Überfremdung oder Sorgen um die eigene Nachbarschaft, zu wenig Rente oder zu hohe Steuerlast: all das ist nicht der Grund für Pegida. Diese Sorgen ließen sich entweder leicht zerstreuen oder sie stehen mit den Pegida-Anliegen in keinem kausalen Zusammenhang. Das will in Dresden aber keiner hören.
Vielleicht wird deshalb umgekehrt ein Schuh daraus:
Das zur Schau getragene Opfer, das man täglich als Bürger bringt, dient nur als Legitimation der eigenen Empörung. Deshalb wirkt diese Empörung auch so aufgesetzt, worüber sich heute-show und co zu recht lustig machen. Und deshalb ist argumentieren mit den Fakten auch so sinnlos.
Aber die Heuchelei persönlicher Betroffenheit durch Zuwanderung will man sich nicht nehmen lassen, auch nicht, wenn man in der (fast) ausländerfreien Zone Dresden lebt, und auch nicht, wenn noch soviel Blödsinn gestammelt wird bei den Versuchen, der internationalen Presse zu erklären, warum und was Pegida ist.
Denn die wirklichen Gründe liegen woanders: Nur über die gemeinsam verlangte und bejubelte Ausgrenzung derer, die hier bei uns „nichts verloren“ haben, erleben sich diese Bürger als Volk und Machtfaktor, als Stimme, die Beachtung verlangt und verlangen darf. Erst durch diese Negation erschließt sich für sie das Völkische und Gemeinsame – in dessen Namen man schließlich, in einem zweiten Schritt, ausbleibendes staatliche Handeln auch gern mal selbst in die Hand nimmt.
Ohne diese Gemeinschaft stiftende Ausgrenzung Anderer erleben wir uns als das, was wir im Alltag sind: vereinzelte im Widerstreit mit anderen liegende mehr oder weniger bedeutungslose Subjekte in einem Kampf um Geld, Liebe, Anerkennung und Respekt. Von völkischer Gemeinsamkeit wenig zu sehen.
Es sei denn natürlich, es ist Fußball-WM. Aber das ist eine andere Geschichte. Oder doch nicht?
Sehr schön auch was David Hugendick hierzu bei Enzensberger gefunden hat, in „Mittelmaß und Wahn“ von 1988: https://twitter.com/davidhug/status/551414772936503296