Titelbild: Der Standort der großen Synagoge des Architekten Richard Klepzig (1860 – nach 1923) in Gotha heute.
32 Bild- und 32 Texttafeln auf extra entworfenen und angefertigten Stelen vergegenwärtigen die Geschichte der Synagogen und des jüdischen Lebens in Thüringen. Die Ausstellung ist zugleich als Wanderausstellung konzipiert
Sichtbar machen, was aus dem Blick geraten ist und Jahr für Jahr unsichtbarer wird, das ist das Ziel einer Ausstellung von Judith Rüber und Jan Kobel im Milchhof Arnstadt vom 24. September bis zum 14. November 2021. Ein Ausstellungsprojekt des Milchhof Arnstadt e.V. im Rahmen der und unterstützt von den ACHAVA Festspielen.
Die Prüfung der Thüringer Residenzkultur als Kandidat für das UNESCO-Weltkulturerbe durch die aktuelle Landesregierung ist ein sehr wichtiger Schritt, dieses kulturelle Erbe nicht nur zu respektieren und zu sichern, sondern auch sichtbar und erlebbar zu machen. In einem zweiten Schritt sollte das Tourismuskonzept des Landes kongenial angepasst werden. Diese Beitrag möchte dafür einen Weg aufzeigen.
1. Einleitung:
Wie vom ZEIT-Magazin im März 2021 beeindruckend visualisiert, hat das Land Thüringen ein deutliches Alleinstellungsmerkmal. Es besteht in der Vielfalt und Dichte seiner Residenzen, die sich der „Kleinstaaterei“ dieses Landes verdanken. Wenn Thüringen auch in Mentalität und Baukultur viel mit Franken, Sachsen-Anhalt und Sachsen gemein hat, unterscheidet es sich doch von seinen unmittelbaren Nachbarn, erst recht von allen anderen deutschen Staaten, dadurch, dass es in seiner Geschichte bis 1918 nie zentralistisch regiert war. Dass das ein positiv zu bewertendes Alleinstellungsmerkmal sei, klingt auf den ersten Blick erstaunlich. Es wird aber verständlich, wenn man sich folgendes vor Augen führt:
Die vielen kleinen Fürstentümer Thüringens konkurrierten seit etwa der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht durch militärische Macht gegeneinander, wie die großen Fürstentümer und Königshäuser. Sie eiferten darum, sich durch die Pracht ihrer Bauten und Gartenanlagen, die Qualität ihrer Sammlungen, durch den Geist ihrer Hofkultur und die Erlesenheit ihrer Komponisten, Hofkapellen, Dichter*innen und Theater hervorzutun. Weimar ist das bekannteste Produkt dieser Konkurrenz, die Leute wie Goethe und Schiller, Herder und Wieland nach Thüringen lockte, und der es letztlich auch zu verdanken ist, dass Thüringen heute stolz auf das Bauhaus sein darf.
Schloss Friedenstein in Gotha. 1,15 Millionen Sammlungsgegenstände. Ein Universum für sich. Gesehen aus dem Herzoglichen Palais
Wichtig ist zu erkennen, dass die Thüringer Residenzkultur nicht nur von touristischer und kultureller Bedeutung ist, sondern ein wesentlicher Beitrag zur Regionalentwicklung und für den Zuzug von Menschen sein kann. Die demoskopischen Prognosen für einzelne Regionen des ostdeutschen Raums sind dramatisch. Zu den größten Herausforderungen des Landes Thüringen gehört es deshalb, das Veröden der kleinen Städte und der ländlichen Regionen abseits der A4 zu stoppen. Zuzug wird zu einem immer wichtigeren Wirtschaftsfaktor.
Voraussetzung dafür ist eine Konzertierung von Infrastruktur-, Wirtschafts- und Kulturpolitik mit einer landesweiten Tourismuskonzeption.
Die aktuell gültige, im Auftrag des Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft unter der Mitwirkung von einem halben dutzend Agenturen und 15 Workshops erstellte Tourismusstrategie des Landes Thüringen umfasst ohne Anhang 73 Seiten. Sucht man darin nach den Begriffen, mit denen sich, im Marketing-Jargon, die USP (unique selling points – Alleinstellungsmerkmale) Thüringens festmachen, kommt man auf folgende Resultate:
Residenz: 0 Treffer Residenzstädte: 0 Treffer Schlösser: 0 Treffer Kunst- oder Wunderkammer: 0 Treffer Gärten: 0 Treffer Kleinstaaten: 0 Treffer Fürsten: 0 Treffer Johann Sebastian Bach: 0 Treffer Heinrich Schütz: 0 Treffer Lukas Cranach: 0 Treffer usw.
Die große Retrospektive des Fotografen Arnold Odermatt in der Kunsthalle Erfurt
Arnold Odermatt wurde 1925 im Schweizer Kanton Nidwalden geboren und arbeitete zeit seines Berufslebens als Verkehrspolizist. Die seiner Profession zugehörige Aufgabe der Dokumentation von Unfällen nahm Odermatt allerdings so ernst, dass seine Bilder 2001 auf der Biennale in Venedig ausgestellt wurden. Seitdem diskutiert die Kunstwelt von Winterthur bis Chicago, wie es wohl sein könne, dass ein Polizist in der Ausübung seines Amtes Kunst schafft, obwohl er dies – nach eigener Aussage – gar nicht beabsichtigt habe.
// Wie ich auf einer Fastenwanderung durch die Fremde im eigenen Land nicht mehr zu entscheiden wußte, ob ich über den spürbaren Unwillen der Tourismusverantwortlichen, das Land aus der Perspektive des zeitgenössischen Reisenden zu betrachten, weinen oder glücklichsein sollte, und, während ich noch darüber nachsann, wie schön es ist, niemandem zu begegnen, mitten im 17. Jahrhundert landete und eine verwegene Idee von mir Besitz ergriff.
Die Burg Wendelstein beim Memleben. Keine Wegelagerer weit und breit
Von Erfurt unsere Arnstädter Gera hinunter nach Norden, durch das Erfurter Becken bis Sömmerda, sodann an der Unstrut entlang Richtung Naumburg, eine Woche hindurch versorgt nur mit Tee, klarer Gemüsebrühe und Wasser, so war es geplant. Aufgrund der großen Hitze schrumpfte die Reichweite zwar bis nach Laucha, dennoch hatte ich danach einen klaren, keineswegs nüchternen Blick auf meine inzwischen schon nicht mehr so neue Heimat. Schuld daran waren schier endlose Weizenfelder, drei Schlösser und ein Buch.
Thüringer Märbeln aus dem Wald waren überall in der Welt unterwegs. Wer erzählt die Geschichten, die sie dort erlebten?
Das Themenjahr „Industrialisierung und soziale Bewegungen“ neigt sich dem Ende zu, und ebenso dessen großer europäischer Bruder SHARING HERITAGE. In Thüringen ist dieses Jahr – neben vielen kleinen Ausstellungen – vor allem mit der Pößnecker Landesausstellung begangen worden. Rückblickend ist unser Eindruck: Es wäre mehr drin gewesen.
von Judith Rüber
Wer die Ausstellung in der Pößnecker Shedhalle gefunden hatte (was für nicht Ortskundige nicht ganz einfach war), traf auf eine Ausstellung, die in Schlaglichtern Besonderheiten der Thüringer Industrialisierung professionell präsentierte, und die in Ihren Texttafeln auch auf die einzelnen Unternehmen, deren geschäftliches Umfeld und die besondere Situation im ländlichen Raum Thüringens im 19. Jahrhundert einging. Europa ist mehr als die Summe seiner Teile. Aus der Titelseite des Europäischen Kulturerbejahres: https://sharingheritage.de
Was man nicht antraf, war eine Ausstellung, die dem Europäischen Themenjahr SHARING HERITAGE Resonanz gegeben hätte. Denn der bahnbrechende Gedanke des Europäischen Themenjahrs lautete:
Wir waren schon immer alle Europäer! Den Scheinwerfer umdrehen? Nach Europa hinausleuchten! weiterlesen
Das TRAFO in Jena. Hier kurbelt die Industriekultur.
Die Kleinstaaten haben Deutschland zum gebildetsten Lande der Welt gemacht. Jetzt aber sind sie nicht mehr möglich und müssen großen politischen Nothwendigkeiten weichen.
Wilhelm von Kügelgen, 1865
Dabei kann es nicht nur um die – rückblickende – museale Aufarbeitung und Präsentation dieser Industriegeschichte gehen. Es muss genauso darum gehen, Industriekulturen an den Originalschauplätzen erlebbar und auffindbar zu machen und in neue Nutzungen zu bringen.
Referat vor dem Städtenetz SEHN in Bad Langensalza
vom 27. Juni 2018 / von Jan Kobel
Wer sich in Thüringen für Industriekultur oder für Projekte zur Umnutzung verfallender Industriearchitekturen interessiert, wird feststellen: In allen Städten und Winkeln des Landes entstehen nach und nach Initiativen, die versuchen, das INDUSTRIELLE ERBE zu bewahren oder durch Kunst und Musik, Büros und Werkstädten, Co-Working-Spaces oder Ladengeschäfte in einst industriell genutzte Räume wieder Leben zu bringen. Er wird aber auch feststellen: meist wissen diese nichts oder wenig voneinander, eine Kooperation findet kaum statt, und vor allem sind diese Projekte für Interessierte schwer aufzufinden. Mehr Licht und Vernetzung – auch für die Thüringer Industriekultur! weiterlesen
Willi Neubert, Halle Neustadt 1966, Foto: Martin Maleschka
Ausstellungseröffnung am 05. Juni 2018 um 18 Uhr
Terrassenwohnanlage Lohmühlenweg 31 / 99310 Arnstadt
Geöffnet Mo-Sa von 10 bis 16 Uhr nach telefonischer Anmeldung
unter 03628 61040
Martin Maleschka wurde 1982 in Eisenhüttenstadt geboren und studierte Architektur an der TU Cottbus. Er ist alt genug, um mit den Plattenbauten der DDR und ihren Fassadengestaltungen Kindheits-Erinnerungen zu verbinden, und zugleich jung genug, um der DDR- und Nachwende-Geschichte unvoreingenommen und distanziert begegnen zu können. Diese Mischung aus Distanz und Zuneigung prägt sein Werk. Was bleibt ist die Kunst. Kunst am Bau der DDR. 40 Fotografien von Martin Maleschka weiterlesen
Oben: streng rechter Winkel vom Stuhl bis in die Stahlbeton-Unterzüge sowie Vollverglasung: betonte Funktionalität im Restaurant des "Haus des Volkes"
Auf der niedrigsten Nord-Süd-Durchquerung des Thüringer Waldes, an der Grenze zu Franken, liegt Probstzella. Wie eine herrschaftliche Festung überragt ein ungewöhnliches Gebäude den kleinen Ort: das „Haus des Volkes“, errichtet und ausgestattet von den Bauhäuslern Alfred und Gertrud Arndt 1927.
Wie im Falle des Faguswerkes des Carl Benscheidt in Alfeld an der Leine verdanken wir dieses Zeugnis vom Aufbruch in die Moderne einem sozial und fortschrittlich eingestellten Unternehmer.
„Wenn du nicht brav bist, kommst Du ins Bauhaus!“– mit solchen Sprüchen drohten in den frühen 20er Jahren Weimarer Bürger Ihren Kindern. Das Bauhaus wurde zwar 1919 in Weimar gegründet, aber dem konservativen Weimar waren die avantgardistischen Ideen und der Lebenswandel der Bauhäusler stets suspekt. Fünf Jahre dauerte es, bis die Stadt Gropius und seine Schule den Geldhahn endgültig zugedreht und sie aus der Stadt geekelt hatte.
Richtig ist dennoch, dass man in Thüringen die Geschichte der ersten fünf Jahre des Bauhauses erleben kann, und mit ihm auch die Geschichte des Aufbruchs in die Moderne, in Weimar, Jena, Erfurt – oder auch Arnstadt. Und es ist auch richtig, für Thüringen damit zu werben.
Nichts geht in Thüringen ohne „New York City“
Aber es ist unglücklich, dass es dies stets auf eine Art und Weise versucht (wie schon bei den anderen Kampagnen-Motiven mit Eva Padberg, der Brooklyn Bridge oder einem Mercedes-Benz), die nicht mit den tatsächlichen Stärken dieses Landes wirbt, sondern damit, wiesehr vom Glanz anderer Länder und Städte (nun zum zweiten Mal New York) auch auf Thüringen etwas abfalle. Als würde die Lampe Wilhelm Wagenfelds erst dadurch zur Ikone – die sie zweifelsohne ist – , dass sie vor der Skyline von New York steht!
Das Kampagnen-Motiv „Lampe vor Skyline“ ist letztlich peinlich, da sie sich nicht traut, selbstbewusst in den Fokus zu stellen, was in Thüringen tatsächlich zu erleben ist – an Wirtschaftskraft, Ingenieursgeist, an Kultur- und Baugeschichte. Sie ist deswegen auch kontraproduktiv, da jeder Leser natürlich sofort den Minderwertigkeitskomplex hinter diesem verkrampften Eigenlob spürt. Erst recht die Leser des Wirtschaftsmagazins brand eins.
Ein ausführlicher Artikel zu Kampagne des Thüringer Wirtschaftsministerium findet sich hier: