Das ist Thüringen – in der Selbstbewußtseinsfalle

Thühühüringen – David Bowie ist auch schon mal drüber geflogen!
Rainald Grebe auf youtube / 2004 

Es war 2005, wir hatten soeben erst die Thüringer Residenzstädte und Kulturlandschaften entdeckt und nach langer Suche unseren Lebensmittelpunkt in deren Mitte nach Arnstadt verlegt, als wir in einer Zeitung ein Interview mit einem Repräsentanten der Stadt Erfurt lasen, der den Satz sagte:
Die Stadt Erfurt hat ein Wahrnehmungsproblem.
Die Wahrheit, die in diesem Satz steckt, verfolgt uns seitdem. Denn nicht nur Erfurt, ganz Thüringen hat ein Wahrnehmungsproblem, und zwar bis heute, auch wenn das mediale Interesse am aktuellen Ministerpräsidenten des Landes das Wort Thüringen neuerdings öfter in die überregionalen Schlagzeilen bringt. An Vorurteilen ändert das wenig.

Wer viel ins westliche Deutschland reist, zum Beispiel nach Bayern oder Nordrhein-Westfalen, weiß, dass gefühlte 90% der Landsleute dort nicht in der Lage sind, eine einzige thüringische Stadt anzugeben, Weimar und Erfurt eher in Sachsen vermuten und ihre ersten Assoziationen mit zwei Fragen kundtun:
1) Habt ihr da nicht ein Naziproblem? und
2) Wie lebt es sich so mit unserem Soli?
Billiglohnland, das vom Geldtransfer lebt, und das in touristischer Hinsicht ungefähr so spannend ist wie man sich die DDR vorgestellt hatte – Thüringen hat ein Wahrnehmungsproblem. Nicht in den anderen ostdeutschen Bundesländern, aber im Westen. Da aber spielt die Musik.

Für die gleiche Mehrheit dort ist es jenseits einer ernst zu nehmenden Idee, in Thüringen einmal Urlaub zu machen oder gar in dieses Land aus beruflichen Gründen umzuziehen.

So ist es immer, wenn man nichts weiß von einem fremden Land.
Also tut Aufklärung not. Nicht nur in Hinblick auf den Tourismus. Auch in Sachen Unternehmenstandort, kulturelle Vielfalt oder Lebensqualität unserer Städte. Kann man das heute eigentlich noch unterscheiden? Wo das eine das andere bedingt?

Davon ging und geht auch zu recht die Imagekampagne aus, die vom Thüringer Wirtschaftminister Machnig noch unter der Schwarz-Roten Koalition beauftragt und im August 2011 gestartet wurde. Diese Kampagne wirbt bis heute auch an internationalen Flughäfen, wie soeben erst in Frankfurt gesehen: Das ist Thüringen steht da auf einem Plakat, und wir sehen einen 50.000 € teuren tiefergelegten Mercedes Benz aus dem Werbefotofundus des Herstellers. Oder das Model Eva Padberg, die Brooklyn Bridge in New York oder einen Airbus, der in den Sonnenuntergang fliegt.
Mercedes-150dpi

Die Idee dabei: Wir zeigen etwas, was keiner mit Thüringen verbindet, erzeugen damit Aufmerksamkeit und lösen das Rätsel, indem wir erklären, wo jeweils ein Stück Thüringen drin ist. Zum Beispiel in den Genen von Eva Padberg.
Meine spontane Reaktion auf diese Kampagenmotive war die Erinnerung an die Dialoge des genialen Loriot mit Evelyn Hamann:
Ach was!

Die Kampagne kam laut Thüringer Wirtschaftministerium überall gut an und hat sogar einen Preis gewonnen. Auch in der Auswertung von Wiedererkennbarkeit und Erinnerung belegen die Kampagnenmotive international vordere Plätze. Das ist glaubhaft, denn an einem Motiv, das New York zeigt und Thüringen meint, bleibt der Betrachter hängen – und will wissen: wieso?

Ist es deshalb schon eine gute Kampagne?

Oder sollte man nicht genauso fragen, welches Bild von diesem Bundesland mit der Antwort auf dieses Wieso? vermittelt wird?
Weder die Kampagnenmacher selbst noch die kritische Fachwelt der Werber, Blogger und Journalisten befasst sich mit dieser Frage, zumindest habe ich im Internet keine einzige kritische Reflexion darüber gefunden.

Ich mache hiermit einen Anfang. Ich halte den Ausgangspunkt der Image-Kampagne für richtig – Thüringen hat ein mit Vorurteilen durchsetztes Wahrnehmungsproblem – zugleich aber die Durchführung für unglücklich, wenn nicht sogar für kontraproduktiv. Ich will versuchen zu erläutern warum.

Nehmen wir das Brooklyn Bridge Motiv. Warum ist die Brooklyn Bridge Thüringen? Antwort: Weil ein innovativer und ehrgeiziger Ingenieur aus dem thüringischen Mühlhausen im Jahre 1831 in die USA auswanderte und dort 34 Jahre später mit dem Bau dieser Drahtseil-Brücke beauftragt wurde.

Böse Zungen könnten sagen: Eben! Um zu zeigen was er konnte mußte er auswandern, Deutschland bot ihm zu jener Zeit offensichtlich keine Perspektiven. Auch Thüringen nicht.
Aber auch weniger böse gedacht stellt sich die Frage: was erfahre ich über Thüringen, wenn ich weiß, daß August Röbling 1806 hier geboren wurde?

Ich erfahre, daß im 19. Jahrhundert auch in Thüringen kluge Köpfe auf die Welt kamen, was man an Ihrem Wirken im Ausland bemerken kann. Und ich erfahre, dass die Thüringer stolz auf einen sind, der vor fast 200 Jahren das Weite suchte. Gibt’s nichts Frischeres?

Oder das Mercedes-Motiv. Ist es in unserer globalisierten Welt, wo jedes Kind weiß, dass seine Adidas-Turnschuhe aus China kommen und dass Deutschland Dübel und Maschinen exportiert und importiert wie ein Weltmeister, ein Argument, dass Teile eines Mercedes in Thüringen gefertigt werden? So toll ist Thüringen? Weil der Daimler auch hier eine Dependance oder ein Tochterunternehmen hat? Gibt es überhaupt noch ein Land, wo der nicht ist?

Sie bauen sicherlich gute Motoren in Kölleda, und vielleicht bauen sie diese nicht nur als verlängerte Werkbank der Stuttgarter, sondern entwerfen sie auch dort. Keine Ahnung. Aber das ist hier gar nicht das Argument. Alleine die Verbindung Daimler-Kölleda soll ein überraschendes Schlaglicht auf Thüringen werfen.

Glauben kann das nur, wer der Ansicht ist, die Welt würde es den Thüringern bis heute eigentlich nicht zutrauen, Motoren zu bauen. Ist das etwa das Vorurteil, gegen das wir hier zu kämpfen haben? Ich glaube das nicht.

airbus

Auch der Airbus, der dem Sonnenuntergang entgegenfliegt, „ist Thüringen“. Bei N3 in Arnstadt zerlegen sie Triebwerke und setzen sie nach strengen Vorgaben des Herstellers wieder zusammen, um die Sicherheit der Flieger zu gewährleisten. Auch eine Firmengründung von außerhalb, diesmal des britischen Konzerns Rolls-Royce und der Lufthansa.

Auf N3 ist Thüringen besonders stolz. Es ist das Vorzeigeunternehmen überhaupt. Es beginnt mit seiner gelungenen Industrie-Architektur und dem leuchtend roten Logo, das nachts von überall zu sehen ist, geht über die Triebwerksrotoren, die sich so wunderbar fotografieren lassen bis hin zum internationalen Flair, den Rolls Royce ins Erfurter Becken bringt.

N3 ist tatsächlich für den Wirtschaftstandort ein besonders wichtiges Unternehmen, da es eine Pilotfunktion hat: Wenn sich internationale Hightech-Konzerne für einen Standort entscheiden, ziehen sie immer auch andere Unternehmen mit. N3 ist ein Argument für Thüringen als Standort.

Da aber niemand außerhalb von Thüringen weiß, wer oder was N3 ist, und auch den Namen Rolls Royce nur wenige mit Flugzeug- Triebwerken identifizieren, muß ein Foto mit einem Airbus die Kampagne bestücken. Auf dass von dessen Glanz im Sonnenlicht ein wenig auch nach Thüringen hinunterleuchte. David Bowie soll ja auch schon mal drübergeflogen sein.
Eva Padberg_DiTVollends daneben erweist sich der Kampagnenansatz, wenn das Exportprodukt „Supermodel“ heißt. Daß Eva Padberg aus Thüringen stammt, wo sie selbstverständlich nicht lebt, soll ein Argument für diesen Landstrich sein? Die riesigen Plakate, die in den internationalen Flughäfen unter der Überschrift Weltweit gefragt. Geboren in Thüringen eine junge blonde Frau in Highheels zeigen, vermitteln nur eine einzige Botschaft:

Was für ein Problem haben die denn?

Und genau das ist das Problem dieser Kampagne.
Sie vermittelt das Bild eines Landes, das sich selbst nichts zutraut, weil es tatsächlich gar nicht weiß, wo seine individuellen Stärken und Alleinstellungsmerkmale liegen und das sich deswegen darauf angewiesen wähnt, von auswärtigem Glanz und Glamour eine Scheibe abzubekommen.

Die Kampagne vermittelt das Bild eines Landes, das sich selbst letztlich kaum etwas zutraut jenseits der Bratwurst und des Oberhofer Sportevents.

Die Kampagnenmacher selbst drücken das so aus:
Das macht Thüringen aus, und sollte (!) dem Land Selbstbewusstsein geben. Denn nur wer von der eigenen Geschichte weiß, von den eigenen Fähigkeiten überzeugt ist, wird auch andere für sich gewinnen und von sich überzeugen können. (Kampagnen-Booklet).

Das ist sicher richtig, nur wer sich als Quelle des Selbstbewußtseins den Erfolg von Ländern wie Hamburg, Bayern oder Baden-Württemberg zum Vorbild nimmt, in denen nicht nur internationale Konzerne mit vierzig Jahren Vorsprung Reichtum und Macht akkumulierten, sondern wo nach 1945 auch ein Mittelstand heranwachsen konnte, der inzwischen vieltausendfach Weltmarktführer ist – der hat sich in eine Selbstbewußtseinsfalle begeben, aus der er nicht mehr herausfindet.

Der möchte sein wie seine großen Brüder und macht sich damit doch nur lächerlich.

Ich bin mitnichten der Ansicht wie so mancher lokaler thüringer Tourismusfunktionär bei der Präsentation der Kampagne 2011, das Land solle in seiner Selbstdarstellung doch lieber bei Bratwurst und Thüringer Wald bleiben.

Aber dennoch trifft diese Kritik irgendwo ins Schwarze: ein Land sollte sich auf seine tatsächlichen Stärken besinnen.
Es ist höchste Zeit, darüber zu diskutieren, worin diese eigentlich bestehen. Die Steigerung von Bratwurst ist auf jeden Fall weder Eva Padberg noch der Motor in einem tiefergelegten schwäbischen Auto.
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Geht da die A 71 drüber?
Dr. Wichard Beenken / TU Ilmenau /
zum Kampagnenmotiv Brooklyn Bridge

Nachtrag zum Thema:

Thüringen in der Selbstbewußtseinsfalle – reloaded

Ein Gedanke zu „Das ist Thüringen – in der Selbstbewußtseinsfalle“

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