Die Shoa nach Gaza.

von Pankaj Mishra

Pankaj Mishra ist ein indischer Schriftsteller, der 2014 mit dem Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung ausgezeichnet wurde. Dieser Text erschien am 21. März 2024 für The London Review of Books und wurde mit Deepl aus dem Englischen ins Deutsche übertragen. Er gibt eine kulturhistorische Einordnung des Zionismus nach 1945 und schildert kenntnisreich die verschiedenen Schattierungen der westlichen Wahrnehmung des Staates Israels.
Der Artikel erschien am 28 Februar 2024 im Original hier.

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1977, ein Jahr vor seinem Selbstmord, stieß der österreichische Schriftsteller Jean Améry auf Presseberichte über die systematische Folterung arabischer Gefangener in israelischen Gefängnissen.

Améry, der 1943 in Belgien beim Verteilen von Anti-Nazi-Pamphleten verhaftet worden war, wurde selbst von der Gestapo brutal gefoltert und dann nach Auschwitz deportiert. Er überlebte, konnte aber seine Qualen nie als etwas Vergangenes betrachten. Er bestand darauf, dass diejenigen, die gefoltert werden, gefoltert bleiben und dass ihr Trauma unwiderruflich ist.

Wie viele Überlebende der Nazi-Todeslager fühlte sich Améry in den 1960er Jahren mit Israel „existenziell verbunden“. Er griff linke Kritiker des jüdischen Staates obsessiv als „rücksichtslos und skrupellos“ an und war vielleicht einer der ersten, der die heute von Israels Führern und Befürwortern gewohnheitsmäßig wiederholte Behauptung aufstellte, bösartige Antisemiten würden sich als tugendhafte Antiimperialisten und Antizionisten tarnen.

Doch die „zugegebenermaßen dürftigen“ Berichte über Folterungen in israelischen Gefängnissen veranlassten Améry, die Grenzen seiner Solidarität mit dem jüdischen Staat zu überdenken. In einem der letzten von ihm veröffentlichten Essays schrieb er:

„Ich rufe alle Juden, die Menschen sein wollen, dringend auf, sich mir in der radikalen Verurteilung der systematischen Folter anzuschließen. Wo die Barbarei beginnt, muss auch das existenzielle Engagement enden.

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Antikunst-Happening in Kassel

Wir durften schonmal reinschauen, in die documenta fifteen, wo sie Kunst als kollektiven Resonanzraum des sozialen Lebens feiern – und den elitären Kunstmarkt einfach aussperren

Titelbild:
Demonstrationspappen aus Indonesien, auf der diesjährigen documenta in kollektiver Dauerproduktion

Jan Kobel, 16.6.2022

Die Kunst ist das eine, ihre Vermarktung das andere. Soll heißen: Kunst kann alles mögliche sein, aber der Kunstbetrieb, das ist doch eine klar definierte Sache.

Die funktioniert so: Die Kuratoren der bedeutenden Museen und die großen, zumeist angelsächsischen Galeristen wachen über die Zugänge zum Heiligen Gral, zu den mit Milliarden Dollar gefüllten Töpfen der Sammler und Sammlungen. Sie suchen natürlich nur „die Besten“, die Elite der Kunstwelt, die ihr Geld wert sind, und die will erst einmal definiert sein. 

Back to Basics: Filzpantoffel aus Yak-Haaren als Aufklärung über die Nachhaltigkeit des nomadischen Lebens. Hafenstraße 76

The Winner Takes it All, was sonst, der Rest darf an die Volkshochschule. So muss das sein, denn erst der Existenzkampf der erfolglosen Künstler gibt den Handverlesenen die AURA DES GENIALEN. Zwischen Elite und Looser ist nur wenig Platz, und der wird auch immer enger. Niemand hat dich gezwungen, Künstler werden zu wollen. 

Größenwahn und Scham, Rausch und Einsamkeit, Starkult und Verachtung – das ist die Welt des kapitalistischen Kunstbetriebs und all derer, die dazugehören wollen, bis nach China. Das Business ist wirklich Big und die Verlockungen sind groß. Aber: Die diesjährige documenta will das nicht!

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Die Schokoladenfabrik Greußen darf nicht abgerissen werden!

Die konzeptlose Zerstörung des industriekulturellen Erbes und energetisch wertvoller Bausubstanz in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit staatlichen Mitteln scheint kein Ende zu finden – allen gegenläufigen Diskussionen in Wissenschaft und Forschung und allen politischen Bekenntnissen zur Nachhaltigkeit zum Trotz

Diesmal: Greußen, nördlich unweit der Landeshauptstadt Erfurt gelegen. Thüringens Wirtschaftminister Wolfgang Tiefensee lässt verkünden, dass er Anfang Januar der Stadt Greußen persönlich einen Fördermittelbescheid über zwei Millionen Euro (!) übergeben wird zur Zerstörung eines einmaligen und sanierungsfähigen Industriedenkmals nur 30 Bahnminuten vom Hauptbahnhof Erfurt entfernt.

Das TMWWDG ignoriert damit nicht nur den vieldiskutierten Neustart baupolitischer Richtlinien und Zielsetzungen, es mißachtet auch die seit langem laufenden Diskussionen und neue fachliche Befunde.

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Der Dadaismus des Blechschadens

Die große Retrospektive des Fotografen Arnold Odermatt in der Kunsthalle Erfurt

Arnold Odermatt wurde 1925 im Schweizer Kanton Nidwalden geboren und arbeitete zeit seines Berufslebens als Verkehrspolizist. Die seiner Profession zugehörige Aufgabe der Dokumentation von Unfällen nahm Odermatt allerdings so ernst, dass seine Bilder 2001 auf der Biennale in Venedig ausgestellt wurden. Seitdem diskutiert die Kunstwelt von Winterthur bis Chicago, wie es wohl sein könne, dass ein Polizist in der Ausübung seines Amtes Kunst schafft, obwohl er dies – nach eigener Aussage – gar nicht beabsichtigt habe.

© Urs Odermatt / Windisch
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