32 | 1938 | 0 – Die Synagogen in Thüringen

Titelbild: Der Standort der großen Synagoge des Architekten Richard Klepzig (1860 – nach 1923) in Gotha heute.

32 Bild- und 32 Texttafeln auf extra entworfenen und angefertigten Stelen vergegenwärtigen die Geschichte der Synagogen und des jüdischen Lebens in Thüringen. Die Ausstellung ist zugleich als Wanderausstellung konzipiert

Altenburg
Arnstadt
Aschenhausen
Barchfeld
Berkach
Bibra
Bleicherode
Eisenach
Ellrich
Erfurt
Gehaus
Geisa
Gera 1/2
Gleicherwiesen
Gotha
Heiligenstadt
Hildburghausen 1/2
Ilmenau
Meiningen
Mühlhausen
Nordhausen
Schleusingen
Schmalkalden
Schwarza
Sondershausen
Stadtlengsfeld
Suhl
Themar
Vacha
Walldorf

Sichtbar machen, was aus dem Blick geraten ist und Jahr für Jahr unsichtbarer wird, das ist das Ziel einer Ausstellung von Judith Rüber und Jan Kobel im Milchhof Arnstadt vom 24. September bis zum 14. November 2021. Ein Ausstellungsprojekt des Milchhof Arnstadt e.V. im Rahmen der und unterstützt von den ACHAVA Festspielen.

Synagoge zu Gotha (1904 – 1938)

Denn die Zerstörung der Synagogen am 9. November 1938 erweist sich als dauerhafte und bis heute fortschreitende Auslöschung der Orte der Erinnerung jüdischen Lebens in Deutschland. Nur wenige Bürger wissen noch, wo „ihre“ Synagoge stand und wie sie aussah. Diese einst wichtigen, zentralen und prägenden Gebäude sind nicht mehr Teil des kollektiven Gedächtnisses.

Studiert man die Geschichte der Auslöschung der jüdischen Gemeinden in Thüringen ab 1933 und das Schicksal der jeweiligen Immobilien und Grundstücke, so fällt auf, dass kein Fall wie der andere beschaffen ist. Von der totalen Zerstörung und Überbauung des Geländes mit Profanbauten, über den Verzicht auf jeden Hinweis auf die Geschichte dieser Liegenschaft, bis zum wundersamen Überleben und aktuell gedenkender Pflege der Architektur scheint jeder Fall vertreten.

Die Präsentation ist in ihrer genialen Schlichtheit einfach großartig. Es wird so viel unwahrscheinlich präzise Information vermittelt, die ich so nicht erwartet hätte, und im Hintergrund steht eine große Kenntnis des Judentums und des jüdischen Lebens. 
Die Bescheidenheit der beteiligten Menschen verdient höchste Achtung. Es steht ja nicht einmal eine Spendenbüchse o.ä. herum.

Helmut Krause, Öhringen, per Email

32 Fotografien des Fotografen Jan Kobel zeigen die Orte der 32 ehemaligen Synagogen in Thüringen, deren Grundstücke und unseren heutigen Umgang mit ihnen. Jedes Foto wird durch sorgsam recherchierte Texte von Judith Rüber begleitet und holt die Bedeutung jüdischen Lebens in den vielen Stadt- und Landgemeinden Thüringens wieder in das Bewußtsein.

In der BRD trugen die neuen jüdischen Gemeinden bis 1958 zum 20. Jahrestag der Pogromnacht die Erinnerungs- und Mahnveranstaltungen, oft unterstützt von anderen Gruppen Betroffener, wie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Mit dem 25. Jahrestag 1963 begannen die ersten Kommunen, in denen bis 1938 eine Synagoge stand, ein Gedenken zu organisieren. Eines der frühen Mahnmale schuf Herbert Peters im Jahr 1969 für die Münchner Hauptsynagoge. Diese war von den Nationalsozialisten bereits im Juni 1938 abgerissen worden.

Judith Rüber, zuständig Konzeption und Text, führte am 24.9.2021 in die Ausstellung ein

Zum 40. Jahrestag 1978 nahmen mit der differenzierenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus durch die 68er- und Folgegeneration die Veranstaltungen und Publikationen deutlich zu. Zum 50. Jahrestag 1988 führten die Rede von Bundestagspräsident Philipp Jenninger und dessen Weigerung, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski (1912–1992), im Bundestag reden zu lassen, zum Eklat und zu Jenningers Rücktritt. Galinski wiederum folgte der Einladung Erich Honeckers in die Volkskammer und erhielt den „Stern der Völkerfreundschaft in Gold“. 

32 mal jüdisches Leben, 32 ganz unterschiedliche Fälle

Dem offiziellen DDR-Gedenken gingen zahlreiche Bürgerinitiativen voraus, die einen Wandel von unten signalisierten: Lag doch bis dato der Fokus des Gedenkens auf den politisch Verfolgten als Opfer des Faschismus. Erst zum 50. Jahrestag des Pogroms 1988 wurden für die meisten geschändeten Synagogen auf dem Gebiet der DDR Gedenksteine aufgestellt. Häufig auf Initiative, mit Unterstützung und nach Recherchen der evangelischen Pfarrer, deren Amtsvorgänger die Teilnahme an den feierlichen Einweihungen dieser Synagogen im 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht selten verweigert hatten.

Den optischen Hintergrund der Ausstellung bildet die großformatige Szene aus dem jüdischen Leben in Arnstadt, Purim-Fest 1927. Foto: Sammlung Jörg Kaps

Allem Bewusstsein um die Notwendigkeit einer aktiven Gedenkkultur zum Trotz, werden die Grundstücke und baulichen Reste des durch die Nationalsozialisten vernichteten jüdischen Lebens bis heute oft behandelt, als seien sie normaler Baugrund. Die Bedeutung authentischer Orte und des Respekts vor ihrer Unberührbarkeit wird von den Eigentümern, Verwaltungen und Akteuren häufig nicht erkannt. Diese authentischen Orte sind aber Voraussetzung für ein sich in das allgemeine öffentliche Bewußtsein der Deutschen eingrabendes Gedenken.

Zentrale Lage, aber kein Baugrund: Das Gelände der 1938 zerstörten Eisenacher Synagoge von Herman Hahn (1841-1929) als würdige Gedenkstätte

Wenn aber die Immobilien, verfallenden Ruinen und Grundstücke des einst so zuversichtlichen und aktiven jüdischen Lebens in Thüringen und anderswo uns heute vor eine besondere Verantwortung stellen, müssen wir uns auch fragen, ob wir uns dieser Verpflichtung so einfach durch das Anbringen von Gedenktafeln entziehen können?

Es mag nämlich überraschen, dass von den immerhin 18 Synagogenbauten, deren bauliche Hülle die Pogromnacht des 9. November – geschändet, beraubt und geplündert – überlebt hatten, heute nur noch sechs stehen, drei davon zu Wohngebäuden umgenutzt. Die meisten dieser überlebenden Bauten sind nach der Wende 1990 zerstört worden, mehr noch als zu Zeiten der DDR.

Heilbad Heiligenstadt, Stubenstraße 14 (roter Backsteinbau). Hier stand bis 2011 das Gebäude, dass bis 1938 die Synagoge der Stadt war

Ein besonders trauriges Beispiel von Respektlosigkeit gegenüber diesem baulichen Erbe gibt die Stadt Heilbad Heiligenstadt. Hier stand noch im Jahr 2011 ein großer, denkmalgeschützter und in seiner Substanz erhaltener Synagogenbau, der – laut Presseberichten – unerwartet abgerissen wurde, trotz heftiger Bedenken aus den Reihen des dortigen Stadtrates. Kurz zuvor war das Gebäude von der Denkmalliste genommen worden. Ein bis heute im Netz auffindbares Video dokumentiert diesen Abriss, der in der Dramatik seiner Bilder von der grimmigen Entschlossenheit eines Investors und einer Stadtverwaltung zeugt, endlich Platz zu schaffen „für Neues“.
Ein unfassbares Dokument der Schande aus unserer Zeit:
https://www.youtube.com/watch?v=o7QSqyFPkPM

Der Abriss der Synagoge von Heilbad Heiligenstadt, 2011

Die Ausstellung im Milchhof Arnstadt ist geöffnet:
freitags: 14 – 16 Uhr
sonntags: 11 – 16 Uhr
zum Sondergedenken am 9. November um 17 Uhr
sowie nach Vereinbarung.
Schulklassen willkommen.
Der Eintritt ist frei.
Adresse:
Quenselstraße 16
99310 Arnstadt
Telefon: 01712.1208500
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Wir danken unseren Förderern, die diese Ausstellung erst möglich gemacht haben:

Thüringer Staatskanzlei
ACHAVA Festival
Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen
Ilm-Kreis
Stadtwerke Arnstadt GmbH
Ralph Penzel und Rainer Unterbörsch
Dr. Axel Schmidt
Norbert Kistermann
Christian Beutl Stiftung
Dachdeckermeister Jan Schiche
Madeleine Henfling – Vizepräsidentin Thüringer Landtag
Die LINKE. Ilm-Kreis 



Ein Gedanke zu „32 | 1938 | 0 – Die Synagogen in Thüringen“

  1. Eine großartige Sache! Ich werde diese Ausstellung unbedingt besuchen und im Familien – und Freundeskreis bekannt machen. Schon heute ein Dank an das Ehepaar Rüber – Kobel für diese wichtige Aktion. Nach unserem Besuch melde ich mich wieder.
    Herzliche Grüße. Arndt D. Schumann, Neudietendorf.

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