Nicaragua – 170 Jahre Befreiungskampf gegen das Imperium

Zusammenfassung, Übersetzung und Würdigung eines 2022 erschienen Buches von Daniel Kovalik

Sandinistas und FSLN, Contras und Ortega – die Älteren unter uns erinnern sich: in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts war die linke Weltöffentlichkeit auf der Seite des sandinistischen Befreiungskampfes gegen die USA und ihren Kettenhund Somoza.

Bis heute sind die USA nicht bereit zu akzeptieren, dass Nicaragua die Unterwerfung verweigert. Was sich geändert hat ist allerdings die Wahrnehmung der linken Weltöffentlichkeit: in ihren Augen mutierte Daniel Ortega nach 50 Jahren Befreiungskampf zum Diktator.

Daniel Kovalik ist Autor und Rechtsanwalt, lehrt International Human Rights an der University of Pittsburgh School of Law und kennt Nicaragua durch zahlreiche Reisen seit den 80er Jahren. Sein soeben erschienenes Buch Nicaragua – A History of US Interventions & Resistance (2022) korrigiert über 270 Seiten die von den westlichen Medien übernommenen Narrative.

Nicaragua ist ist nur ein Fall des dauerhaften und weltweiten Kampfes gegen das US-Imperium, aufgrund der besonders langen Geschichte seines erfolgreichen Widerstands jedoch ein besonders beredtes Beispiel dafür.

Das Buch ist in Englisch und auf dem deutschen Markt nicht zu erhalten. Dies ist eine Zusammenfassung seiner wesentlichen Aussagen, to whom it may concern.

Der Tag ist nicht weit entfernt, an dem die Stars and Stripes an drei gleich weit entfernten Punkten unser Territorium markieren werden: einen am Nordpol, einen am Panamakanal und der dritte am Südpol. Die ganze Hemisphäre wird unsere sein, durch die Kraft unserer überlegenen Rasse, der moralisch diese Hemisphäre schon heute gehört.
William Howard Taft (1857-1930)

(Kovalik, S. 23)

Dieser Anspruch der USA, formuliert von seinem Präsidenten William Howard Taft im Jahre 1912, hat nichts von seiner Gültigkeit verloren. Zugleich ist er in zweierlei Hinsicht überholt:

Erstens beschränkte er sich noch auf den amerikanischen Kontinent – dieser Anspruch richtet sich spätestens seit 1945 an den gesamten Globus. 
Zweites ist der offene Rassismus seiner Proklamation heute nicht mehr zeitgemäß.

Nach der Russischen Revolution 1917 und vor allem dem Erfolg des Sowjetunion 1945 und den damit verbundenen weltweiten Hoffnungen auf De-Kolonialisierung, soziale Gerechtigkeit und Unabhängigkeit wurde dieser bis heute tief in den westlichen Staaten verankerte Rassismus kaschiert durch das Angebot, den Globalen Süden in Lateinamerika, Afrika und Asien zu beglücken mit „Menschenrechten, Demokratie und Selbstbestimmung“ – jeweils aktuell interpretiert nach US-Interessenlage selbstverständlich.

Die Monroe-Doctrine von 1823, basierend auf einer Rede des US-Präsidenten James Monroe (1758-1831), definierte den gesamten amerikanischen Kontinent als exklusiv amerikanische Einflußsphäre mit dem expliziten Recht, militärisch einzugreifen – auch gerichtet gegen die damaligen europäischen Konkurrenten und deren kolonialen Bestrebungen.

Die USA machen seit exakt 200 Jahren von diesem selbstgegebenen Recht ausgiebig Gebrauch, zuerst in Lateinamerika, dann im pazifischen Raum, schließlich weltweit. Zugleich beherrschen sie es scheinbar perfekt, die öffentliche Meinung in den westlichen Nationen in ihrem Sinne zu steuern. Der britische Literatur-Nobelpreisträger Harold Pinter (1930-2008) hat den US-amerikanischen Mindset zusammengefasst, als er 2005 schrieb:

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg unterstützten und installierten die USA in vielen Fällen jede rechte Militärdiktatur in der Welt. Ich denke an Indonesien, Griechenland, Uruguay, Brasilien, Paraguay, Haiti, die Türkei, die Philippinen, Guatemala, El Salvador und natürlich Chile.
Der Schrecken, den die Vereinigten Staaten Chile 1973 zugefügt haben, kann nie gesäubert und kann nie vergeben werden.
Hunderttausende wurden in diesen Ländern ermordet. Hat das stattgefunden? Und ist das in jedem Fall auf die US-Außenpolitik zurückzuführen? Die Antwort ist ja, es hat stattgefunden und es ist auf die amerikanische Außenpolitik zurückzuführen. Aber wir sollen es nicht wissen. Es ist nie passiert. Nichts dergleichen hat jemals stattgefunden. Selbst während es stattfand, fand es nicht statt. Es spielte keine Rolle. Es war von keinerlei Interesse.
Die Verbrechen der Vereinigten Staaten waren systematisch, konstant, bösartig, ohne Reue, aber nur wenige haben jemals darüber gesprochen. Wir sollen es Amerika überlassen. So sichert es sich weltweit seine Macht in einer klinische-manipulativen Weise, während es sich die Maske des Guten und Schönen aufsetzt. Es ist ein brillanter, sogar witziger, sehr erfolgreicher Akt der Hypnose.

(Kov. S.12-13)

Seit 1519, wenige Jahre nach der „Entdeckung“ Amerikas, war Nicaragua den spanischen Raubzügen und der Verskavung seiner Bevölkerung ausgesetzt. Die ersten Städte Nicaraguas gehen auf diese Zeit zurück. 1821 wurde Nicaragua im Rahmen einer Zentralamerikanischen Föderation unabhängig, war aber von internen Gegensätzen zerrissen und geprägt von US-Interventionen, am bekanntesten jene des Filibusters William Walker (1824-1860).

Der erste ausländische Präsident überhaupt, den die USA gestürzt haben, war José Santos Zelaya (1853-1919) in Nicaragua 1910. Zelaya war ein Liberaler, dem die USA eine „Herrschaft des Terrors“ und eine „Bedrohung des amerikanischen Kontinents“ vorwarfen. Er baute Schulen und schuf Infrastruktur, was schlimm genug war. Als er aber einer Minengesellschaft drohte, ihr die Rechte zu entziehen, war das Maß voll. Die USA besetzten das Land und halfen der von ihr zuvor angezettelten „Revolution“.

Einer der Widerstandskämpfer gegen das von den USA in der Folge eingesetzte US-puppet-regime war Benjamin Zeledon (1879-1912), den die US-Truppen 1912 zusammen mit 800 seiner Leute massakrierten. Die Erfahrungen dieses heftigen, aber gescheiterten Widerstandskampfes prägten den Mann, dem es 1933 gelang – wiederum weltweit erstmalig –, die US-Besatzertruppen aus dem eigenen Land zu jagen: Augusto César Sandino (1895-1934), Namensgeber der Sandinistas.

Sandino entwickelte eine Form des Guerilla-Kampfes und gewann zahlreich Mitkämpfer aus den verarmten Regionen. Die USA reagierten mit einem Krieg gegen die Zivilbevölkerung und einem Luftkrieg, in dem sie Bomben auf alles abwarfen, was sich bewegte. Dutzende von Dörfern wurden so zerstört. Als nach Jahren zähen Widerstandes Sandino und zwei seiner Generäle 1934 scheinbar zu „Friedensverhandlungen“ eingeladen wurden, denen sie leichtfertigerweise folgten, wurden sie deportiert und erschossen. Ihre Leichen wurden nie gefunden.

Der US-Kettenhund hinter diesen Morden war ein gewisser Somoza. Er und seine Söhne sollten von nun an 45 Jahre Nicaragua ausplündern und terrorisieren.

Drei Somozas raubten das Land aus, am brutalsten der jüngste, Tachito Somoza. Als 1972 ein verheerendes Erdbeben Managua zerstörte und 10.000 tötete, spendete die ganze Welt für den Wiederaufbau. Das Geld landete überwiegend in den Taschen Somozas, dessen Vermögen danach auf 400 Mio Dollar geschätzt wurde. Seine Nationalgarde zog plündernd durch die Ruinen und zerstörte die von Hilfsorganisationen aufgebauten Zeltstädte. 

Damit hatte Somoza den Keim gelegt für die Erstarkung des sandinistischen Wiederstands und die FSLN, gegründet von Carlos Fonseca (1936-1976). Hoffnungslosigkeit ist eben eine Kampfperspektive. 

Foto: Carlos Fonseca / Quelle unbekannt

Die Welt bekam davon nichts mit, von den Nicaragua-Solidaritätskomitees an den Unis abgesehen. Die NYT berichtete aus dem Katastrophengebiet:

Sofort sprang der junge und dynamische Präsident, Anastasio Somoza Debayle, in die Ruinen, um zusammen mit seinen 2,2 Millionen Nicaraguanern eine neue, stärkere Gesellschaft wiederaufzubauen.
New York Times, 1972 (zit. nach Chomsky / Herman The Washington Connection and Third World Fascism, 1979)

(Kov. S.51)

Interessant ist, dass Salman Rushdi über die sandinistische Revolution ein Buch schrieb: „Das Lächeln des Jaguar“ bzw. „The Jaguar Smile“ (1987). Dan Kovalik zitiert daraus:

Der Erfolg der Sandinistischen Revolution 1979 war für die USA unter dem bislang brutalsten ihrer Präsidenten, Ronald Reagan, eine unerträgliche Provokation.

Er begann eine „Contra“-Armee aufzubauen, die 10 Jahre lang das Land terrorisierte, unter anderem mit Folter-Methoden, die nur als bestialisch beschrieben werden können. Diese „Contras“ rekrutierten sich aus den ehemaligen Mitgliedern der somozistischen „Nationalgarde“.

Die Sandinisten hatten sie verschont und nach Honduras ausgewiesen. Das war ein Fehler des stets um Verständigung bemühten Daniel Ortega. Daniel Kovalik kommentiert diesen sandinistischen Großmut nicht. Aus heutiger Sicht hätten all diesen Verbrechern der Prozess gemacht und sie hingerichtet, zumindest lebenslang weggesperrt werden müssen.

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