Der klassische Denkmalbegriff ist ein Fossil und ignoriert die Wirklichkeit unserer Städte.
Ein Beitrag zum 100. Geburtstag des Kunsthistorikers Willibald Sauerländer am 29.2.2024
von Jan Kobel, Februar 2024
Foto: Stadt als Wüste. Gelsenkirchen, 2024 (Foto: Ramon Schack)
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Die Denkmalpflege kann die Versäumnisse der Stadtplanung nicht ersetzen. (Holger Reinhard, Landeskonservator Thüringen, 2023)
In den 60er Jahren wurde es unübersehbar, dass Substanz und Lebensqualität der deutschen Städte durch die Praxis des „Wiederaufbaus“ massiv bedroht waren. Zu jenen, die damals eine Neuorientierung der Denkmalpflege forderten, gehörte der Kunsthistoriker Willibald Sauerländer (1924 Waldsee – 2018 München).
Vor knapp 50 Jahren, anläßlich des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975, hielt Sauerländer vor Vertretern der westdeutschen Landesämter in diesem Kontext einen weitblickenden Vortrag zu grundsätzlichen Fragen des Denkmalschutzes. Titel des Referats: „Erweiterung des Denkmalbegriffs?“
Dies ist das Manuskript eines Impuls-Vortrages, den Jan Kobel am 30.11.2023 im Kontor in Erfurt auf einer Veranstaltung des TMIL (Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft), der LEG Thüringen und der IHK Erfurt zum Thema „Innenstädte mit Zukunft“ gegeben hat.
Dieser Impulsvortrag fußt auf dem Artikel Das Ziel heißt Zuzug, der Weg Tourismus, den wir im März 2021 in seiner Kurzversion hier und in seiner ausführlichen Version hier veröffentlicht haben.
Der deutsche Pavillon in den Giardini. Die Negation einer Ausstellung – als Ausstellung.
Die Biennale Architettura in Venedig gilt als die bedeutendste internationale Visionenschau für Architektur und Städtebau. Angesichts der scheinbar exponentiell wachsenden Herausforderungen könnte man vermuten, dass Ziele und Erwartungen hoch gesteckt sind.
Unsere Städte verlieren seit Jahrzehnten an Lebensqualität, die ländlichen Regionen kontinuierlich Menschen. Die Bauwirtschaft ist für ein Drittel der weltweiten CO2-Emmision verantwortlich, Bauen im Bestand, Umnutzung und urbane Verdichtung sind zweifelsfrei die Themen der Zukunft. Viele Städte suchen Wege, um das Auto aus den Innenstädten herauszubekommen.
Die Antworten, die in Venedig auf diese Herausforderungen gegeben werden, erscheinen allerdings dürftig – soweit ein langer Tag im Arsenale und in den Giardini überhaupt einen repräsentativen Einblick erlaubt. Um die gesamte Architektur-Biennale zu überblicken, inkl. der vielen über Stadt und Lagune verteilten Sonderinitiativen, ist ein mehrtägiger Aufenthalt notwendig.
Venedig im Sommer 2021, frisch wiedereröffnet nach harten Lockdowns, ohne asiatische und amerikanische Touristen, ist eine Verlockung, der Venedigliebhaber nicht widerstehen können. Eine wunderschöne Stadt, in der Touristen und Einheimische sich scheinbar die Waage halten, in der das normale Leben, das ja allen Gerüchten zum Trotz nie aufgehört hat, wieder sichtbar wird. Dazu eine Ausstellung unter dem vielversprechendem Titel „How will we live together?“, kuratiert vom libanesisch-amerikanischen Architekten Hashim Sarkis:
„In einer Welt des zunehmenden ökonomischen Ungleichgewichts, die sich auch politisch immer mehr spaltet, rufen wir die Teilnehmer auf, sich Räume auszudenken, in denen wir wohlwollend miteinander leben können. Die Betonung liegt auf miteinander.“ (Hashim Sarkis)
Bei aller moralischer Unanfechtbarkeit dieses „Aufrufs“ wünschte man sich freilich etwas mehr analytisches Denken als Basis einer Ausstellung, die die Architektur der Zukunft zu bestimmen sucht. Sich „Räume auszudenken“ ist schon sehr idealistisch in dem Sinne, dass die Frage nach den Gründen des „ökonomischen Ungleichgewichts“ gar nicht gestellt wird. Von „carbon foodprint“, Bauen im Bestand und Flächenverbrauch, Sondermüllproduktion oder städteplanerischen Renaissancen ganz zu schweigen. Von all dem aber kaum ein Wort.
Die Ausstellung selbst macht schnell klar: Sie will auf die drängenden Fragen des Bauens keine Antworten geben, da sie diese schlicht und einfach ignoriert. Hashim Sarkis und seine Co-Kuratoren sind dem Denken des 20. Jahrhunderts verhaftet, einer Moderne, die dem Kult des genialen Architekten huldigt. In dieser Welt brilliert der Planer durch aufsehenerregende Einfälle, deren Bezug auf die drängenden Fragen der Menschheit durch freies Assoziieren auf den sie begleitenden Texttafeln irgendwie nahegelegt wird.
// Mit dem Entdecken des eigenen Landes, im nahen wie im fernen, stirbt meist nicht nur ein Haufen dummer Vorurteile. Das Erkunden fremder Regionen und das Erspüren ihrer Unterschiede dient auch dem: zu begreifen, wie sehr wir alle bis heute durch die Erfahrungen unserer Vorfahren geprägt sind. Das kann ziemlich spannend sein. Das Erzgebirge, eine der dynamischsten Regionen des Ostens, war uns soeben erst ein besonders gutes Beispiel für beides.
Titelbild: Weihnachtsschmuck à la Erzgebirge, gesehen in Stollberg
Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme ursprünglich aus München, einer Stadt, die sich selbst natürlich für den Mittelpunkt der Welt hält, und von der aus man gerne nach Süden schaut, gelegentlich nach Norden oder Westen, ganz selten aber in den Osten. Wer in München erzählt, er fahre ins Erzgebirge, zum Beispiel nach Chemnitz und nach Schneeberg, um dort Urlaub zu machen, gut zu essen und Ausstellungen zu besuchen, gilt als Scherzkeks. Erzgebirge?! Chemnitz?! Hallo?!
Nein, dieser Artikel soll kein Wessi-bashing werden, und auch kein Schönreden einer Region, in der die völkischen Angstmacher für Deutschland an die 30 Prozent erzielen.
Es geht darum, anhand eines kleinen 36-Stunden-Ausflugs, der uns stark beeindruckt hat, exemplarisch nachzuvollziehen, warum der Osten Deutschlands immer wieder und überall ein vor Überraschungen überquellendes Land ist. In diesem Fall das südwestliche Sachsen.
An der Anzahl von Kindern und Alten auf den Straßen erkennt man, wie lebenswert eine Stadt ist Jan Gehl / dänischer Stadtplaner
Rückbesinnung und Ausblick auf urbane Lebensräume im digitalen Zeitalter Fünf Thesen
1_Was ist passiert?
Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert
a_ der Bewegung raus aus der Stadt in die Suburbanität. Beispiel Gartenstadt und Siedlungen
b_ der Ablösung der Stadtplanung durch die Verkehrsplanung. Zerstörung der urbanen Strukturen
c_ des Übergangs vom handwerklichen zum industriellen Bauen. Verlust der lokalen Identität des Bauens
d_ des Verlustes einer sich einfügenden Architektur zugunsten einer exhibitionistischen Architektur der Avantgarde Analoge Stadt II: Stirbt die Stadt, stirbt die Gemeinschaft weiterlesen
Ein Projekt für Arnstadt und die Europäische Stadt 2019 / 24 / 29 ff
„Nur der Stadtbürger ist Staatsbürger“ Alexander Mitscherlich / Die Unwirtlichkeit unserer Städte
Gliederung:
Die Idee: Die Leerstände der Stadt als Bühne eines internationalen Dialogs zwischen Kunst, städtischem Raum, Bürgern und Besuchern
Das Problem: Viele Kleinstädte stagnieren – warum? Der Musterfall: Arnstadt in Thüringen Die Perspektive: Softgentrification als (Teil von) Wirtschaftspolitik Das Projekt: Die Analoge Stadt – Kristallisationskeim für eine lebendige Stadt Quinquennale Analoge Stadt Leben in die Provinz! weiterlesen