Dankesrede von Dr. Jan Kobel anlässlich der Verleihung des Thüringer Förderpreises für Denkmalpflege 2015 an den Milchhof Arnstadt, gehalten in Schmalkalden am 12.09.2015
Titel: Johann Sebastian Bach in Arnstadt nach Bernd Göbel / Walter Gropius 1919, Fotografie von Louis Held, Quelle: wikipedia
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ende August fuhren meine Frau und ich abends nach Weimar, zu einem Vortrag von Neil MacGregor, dem Direktor des British Museums in London und designierten Chefkurator des neuen Humboldtforums in Berlin. Er sprach über das Geschichtsverständnis der Deutschen und über Deutschlands kulturelle Sonderstellung in Europa, und er sprach, wie nur ein Angelsachse über Deutschland sprechen kann – und darf: voller Bewunderung und Begeisterung.
In seiner Rede ging es auch um Buchenwald, und er sagte den Satz:
How could it happen? How did all the great humanizing traditions of Germany – Dürer, Luthers bible, Bach, the Enlightenment, Goethe, the Bauhaus and much much more fail to avert this total ethical collapse?
Wie konnte Buchenwald passieren – im Land von Bach, Goethe und Bauhaus? Und während MacGregor noch gestand, daß er darauf keine Antwort kenne, dachte ich mir: er spricht über Deutschland, aber genau genommen spricht er über Thüringen.
Über das Bauhaus sagte er:
Our cities and houses today, our furniture and typography, are UNTHINKABLE without the functional elegance pioneered by the Bauhaus.
Die Weimarer Republik und das Bauhaus sind, so MacGregors Überzeugung, nicht zufällig beide im Frühjahr 1919 in Weimar gegründet worden. Sie sind ihm Ausdruck eines deutschen Geistes, der tief in der Vielstaatlichkeit der deutschen Geschichte und der Pluralität der deutschen Identitäten wurzelt. Einer Pluralität, wie sie England oder Frankreich als zentralistische Staaten nicht kennen.
Dieser Genius wurde durch einen anderen deutschen Geist zwar zwölf Jahre lang verfolgt und ermordet, aber durch die Flüchtenden auch über die Welt verteilt. Dies gilt besonders für die Bauhäusler. So wurde das Bauhaus international zur Ikone des Designs und der Architektur, des sozialen Wohnungsbaus und der industriellen Massenfertigung. Wie keine andere Institution der Welt konzentrierten und verdichteten sich unter der Leitung von Gropius, Meyer und Mies van der Rohe die internationalen Bestrebungen nach einem Bauen und Gestalten jenseits der Moden, Stile und Verfahren vergangener Epochen. Das Bauhaus markiert heute weltweit unbestritten den Urknall der Moderne.
Die Vergabe dieses Preises an den Milchhof Arnstadt zeigt, dass in Thüringen das Bewußtsein wächst, welche epochale Bedeutung dieses Jubiläum / 100 Jahre Bauhaus / für dieses Land haben kann und wie wichtig es ist, dass bis dahin nicht nur das Museum in Weimar fertig ist, sondern Deutschland möglichst viele originale Gebäude und Objekte aus dieser Zeit vorweisen kann, die den Aufbruch in die Moderne der 10er und 20er Jahre für die Menschen erlebbar machen.
Von Bach bis Bauhaus: Thüringens kultureller Reichtum ist einzigartig – inklusive seiner bis heute nicht zersiedelten Kulturlandschaft. Hier kann ich deutsche Geschichte und deutsche Kultur noch an originalen Schauplätzen erleben in einer Dichte wie sonst nirgendwo. In den Thüringer Residenzstädten atme ich diesen Spirit in jeder Gasse. In unserem Hotel in Arnstadt erfahren wir jeden Tag, wie groß die Sehnsucht nach dieser Authentizität ist. Gerade auch bei den Angelsachsen.
Das unterscheidet unser Land von Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. DAS ist Thüringen.
Angesicht aktueller Flüchtlingsdramen und fremdenfeindlicher Emotionen möchte ich ergänzen: Wie wenn nicht durch die Stärkung dieses weltoffenen Deutschlands, wie es Goethe verkörpert hat, wollen wir diesem anderen Deutschland, das Buchenwald geschaffen hat, vorbeugen?
Denn das Jubiläum 2019 muß auch dafür stehen: Nochmal lassen wir den Geist, der auch das Bauhaus gründete, nicht aus Weimar, Thüringen und Deutschland verjagen!
In diesem Sinne empfinde ich die Entscheidung, den Thüringer Förderpreis für Denkmalpflege an den Milchhof Arnstadt zu vergeben, auch als eine politische Entscheidung. Dafür danke ich dem Förderkreis für Denkmalpflege und der Jury von ganzem Herzen.
Dr. Jan Kobel / Schmalkalden, den 12.09.2015