Der deutsche Pavillon in den Giardini. Die Negation einer Ausstellung – als Ausstellung.
Die Biennale Architettura in Venedig gilt als die bedeutendste internationale Visionenschau für Architektur und Städtebau. Angesichts der scheinbar exponentiell wachsenden Herausforderungen könnte man vermuten, dass Ziele und Erwartungen hoch gesteckt sind.
Unsere Städte verlieren seit Jahrzehnten an Lebensqualität, die ländlichen Regionen kontinuierlich Menschen. Die Bauwirtschaft ist für ein Drittel der weltweiten CO2-Emmision verantwortlich, Bauen im Bestand, Umnutzung und urbane Verdichtung sind zweifelsfrei die Themen der Zukunft. Viele Städte suchen Wege, um das Auto aus den Innenstädten herauszubekommen.
Die Antworten, die in Venedig auf diese Herausforderungen gegeben werden, erscheinen allerdings dürftig – soweit ein langer Tag im Arsenale und in den Giardini überhaupt einen repräsentativen Einblick erlaubt. Um die gesamte Architektur-Biennale zu überblicken, inkl. der vielen über Stadt und Lagune verteilten Sonderinitiativen, ist ein mehrtägiger Aufenthalt notwendig.
Venedig im Sommer 2021, frisch wiedereröffnet nach harten Lockdowns, ohne asiatische und amerikanische Touristen, ist eine Verlockung, der Venedigliebhaber nicht widerstehen können. Eine wunderschöne Stadt, in der Touristen und Einheimische sich scheinbar die Waage halten, in der das normale Leben, das ja allen Gerüchten zum Trotz nie aufgehört hat, wieder sichtbar wird. Dazu eine Ausstellung unter dem vielversprechendem Titel „How will we live together?“, kuratiert vom libanesisch-amerikanischen Architekten Hashim Sarkis:
„In einer Welt des zunehmenden ökonomischen Ungleichgewichts, die sich auch politisch immer mehr spaltet, rufen wir die Teilnehmer auf, sich Räume auszudenken, in denen wir wohlwollend miteinander leben können. Die Betonung liegt auf miteinander.“ (Hashim Sarkis)
Bei aller moralischer Unanfechtbarkeit dieses „Aufrufs“ wünschte man sich freilich etwas mehr analytisches Denken als Basis einer Ausstellung, die die Architektur der Zukunft zu bestimmen sucht. Sich „Räume auszudenken“ ist schon sehr idealistisch in dem Sinne, dass die Frage nach den Gründen des „ökonomischen Ungleichgewichts“ gar nicht gestellt wird. Von „carbon foodprint“, Bauen im Bestand und Flächenverbrauch, Sondermüllproduktion oder städteplanerischen Renaissancen ganz zu schweigen. Von all dem aber kaum ein Wort.
Die Ausstellung selbst macht schnell klar: Sie will auf die drängenden Fragen des Bauens keine Antworten geben, da sie diese schlicht und einfach ignoriert. Hashim Sarkis und seine Co-Kuratoren sind dem Denken des 20. Jahrhunderts verhaftet, einer Moderne, die dem Kult des genialen Architekten huldigt. In dieser Welt brilliert der Planer durch aufsehenerregende Einfälle, deren Bezug auf die drängenden Fragen der Menschheit durch freies Assoziieren auf den sie begleitenden Texttafeln irgendwie nahegelegt wird.
Sehr schön und stellvertretend für viele andere Präsentationen die „Bienenstock“-Objekte des Slowaken Tomàs Libertiny, die er von Bienen formen ließ, und deren Sinnhaftigkeit die Biennale uns nahelegt mit den Worten:
The beeswax pavilions are as much a beautiful testimony of the power of nature as they are a poetic translation of what the future of architecture could be. Only in using this back-and-forth process between nature and technology informing each other can humans remain in balance with their surrounding environment. In this perhaps lies an answer to how we might live together.
Die Skulpturen sind zweifelsohne wunderschön, die architektonische Bedeutung der von Bienen geschaffenen Wabenstrukturen unbestreitbar (wenngleich nichts neues), zugleich besteht der Beitrag zur Frage der Architekturbiennale aber nicht in einer wie auch immer gedachten Problemlösung, sondern in einer Versinnbildlichung: in der „poetischen Übersetzung“ oder dem „Zeugnis“ eines moralischen Postulats: einer wünschenswerten Kommunikation von Technik und Natur beim Bauen. Aha.
Eine Steigerung dieser Versinnbildlichung von Architektur ist die mehrfach vertretene Installation als Dystopie, als allegorische Vorausschau auf die Zustände während oder nach der Klimakatastrophe, wie die Tafel-Installation „Refugees for resurgence“ von Anab Jain, John Ardern und Sebastian Tiew, in der sich die Überlebenden in ihren Höhlen eines „Miteinanders von Menschen, Tieren, Pflanzen und Pilzen“ befleißigen, was uns heute Ermahnung sein soll. Als „multi-species baquet set after the end of the world between hope and fear“:
Eine dritte Fraktion der Aussteller befasst sich mit den Formen des Zurechtkommen und Überlebens in einer Welt, deren kapitalistischen Gesetze kein Platz mehr läßt für Raum und ein Dach über dem Kopf. Vom Tiny-House-Kult bis zur afrikanischen Kunst der Improvisation und Resteverwertung sind Beispiele zu sehen, die auf die Frage des Kurators, wie wir zukünftig leben wollen, antwortet: Indem wir noch mehr die Nischen aufsuchen, die uns noch bleiben:
Chile zeigt in einem Kubus 500 Bilder, die 500 Erzählungen aus einem sozialen Siedlungsprojektes im Süden von Santiago de Chile visualisieren. Sehr, sehr sinnlich und schön! Leider aber doch eher eine Kunstinstallation als ein Beitrag zum Städtebau.
Andere Länder, in ihren Pavillons oder in den Hallen des Arsenals, präsentieren schlichtweg, was sie architektonisch gerade mal vorzuweisen haben, ein Bezug zur Zukunft läßt sich immer herstellen. Belgien, zum Beispiel, zeigt in Modellen Ausschnitte aus seiner historischen Innenstädten, mit Kombinationen von alt und neu. Kommentar? Fehlanzeige:
Die Spanier lassen einfach 1000 Menschen auf Zettel schreiben, wie sie in Zukunft leben wollen, und hängen diese Zettel in Ihren Pavillon:
Aber es gibt auch positive Beispiele, die sich mit konkreten Aussagen tatsächlich den Problemen des Bauens und der Siedlungsstrukturen widmen.
Einmal ein US-amerikanische Beitrag, der an der Ausbildung der Architekten ansetzt und dafür ein globales Wissen akkumuliert über das Bauen durch die Jahrhunderte hindurch und über die Kontinente hinweg. „Horizon Expanding Teaching“ und „World History of Architecture“ sind hier die Stichworte, ganz nach dem Motto: Wenn die Architekten das Problem sind, muss man ihre Ausbildung neu aufstellen.
Dafür zeigt diese internationale Initiative unter dem Dach des Massachusetts Institute of Technology zum einen eine interaktive Datenbank, die sich mit 150 exemplarischen, auf der ganzen Welt verstreuten Architekturen und deren faszinierender Vielfalt bautechnisch und bauhistorisch auseinandersetzt, um den europa- oder US-zentrierten Blick zu weiten, zum anderen analysiert der Beitrag die Bestandteile eines einzigen unspektakulären Einfamilienhauses an der Westküste der USA, mit dem bizarren Resultat, dass es kaum ein Land auf dieser Erde gibt, dessen Rohstoffe, und kaum eine Chemiefabrik, deren Gifte nicht in diesem Haus verbaut wurden. Hard core info über die Globalisierung in den eigenen vier Wänden. Beeindruckend.
Ein weiteres positives Beispiel der polnische Pavillon, der sich dem brandaktuellem und in seiner weltweiten Bedeutung bis heute völlig unterschätztem Thema Landflucht widmet. Diese Beitrag glänzt vor allem durch die analytische Definition eines gesellschaftlichen Problems, die er unter dem Titel „trouble in paradise“ auch außerhalb der Architektur-Biennale erfahrbar macht, nämlich hier: https://labiennale.art.pl/trouble-in-paradise/.
Es geht um den katastrophalen Umgang der polnischen postsozialistischen Gesellschaft mit dem ländlichen Raum in Polen, der unter der Anbetung des Fetisches „Leuchttürme“ – sprich der Städte – die Zerstörung dieses Raumes und die damit verbundene Landflucht bis heute eiskalt in Kauf nimmt. Nicht unähnlich dem ländlichen Raum in Deutschland. Hier, in diesem Beitrag des jungen polnischen Teams „prolog“, erscheint nach unserem 8-stündigem Durchgang durch die Biennale und online-Recherchen einmalig ein Beitrag, der tatsächlich nicht nur Antworten gibt, sondern überhaupt erstmal die richtigen Fragen stellt.
Bemerkenswert auch ein Beitrag aus China, der zeigt, dass die Zukunft des Wohnungsbaus in der Rückbesinnung auf traditionelle und lokale Formen und Strukturen liegt:
Fazit: Wer Antworten auf drängende Fragen des Bauens und der Stadtplanung sucht, findet nur spärlich Antworten. Was wir zumindest gesucht haben, haben wir nicht gefunden: alternative Mobilität-Konzepte, einen neuen Begriff von Sanierung und Weiterbauen, ein Weiterdenken vom Bestand aus, eine neue Materialität, ein wiederbelebtes Handwerk oder auch eine Wiederintegration des Baumes in das architektonische und stadtplanerische Denken, aus dem dieser durch die Ideologen der Moderne vertrieben wurde.
Die Architektur-Biennale in Venedig ist überwiegend eine Kunstausstellung, die die Bedeutung von Architektur als Sinnstiftung zelebriert – nicht selten abstrakt und fern der konkreten Probleme, oft erschreckend unreflektiert. Aber voller schöner Objekte, in noch schöneren Räumlichkeiten.
Das deutsche Feuilleton sieht das anders. Von der Süddeutschen bis zur ZEIT ist man/frau bemüht, dieser Institution Architektur-Biennale Venedig auch 2021 irgendetwas abzugewinnen, und da sind kritische Gedanken eher störend. Die Deutschen scheinen sich da weitgehend einig zu sein, von der Süddeutschen bis zur ZEIT, einzig aus Österreich kommt eine böse Stimme, aus dem Wiener Standard. Wojciech Czaja bemerkt darin trocken:
Statt Wohnkonzepte, Zusammenlebensmodelle und innovative Architekturtypologien für morgen zu liefern, mutieren sie zu großen Kindern und überbieten sich in der Reproduktion von Aliens, Avataren, prothetischen Künstlichkeiten, in Schläuchen und Bubbles eingeschweißten Naturen und so dystopischen Bildern, dass man bisweilen das Gefühl hat, in einem Sci-Fi-Museum zu Matrix, Brazil und HR Giger zu stehen. How will we live together? Echt jetzt? Für Menschen, deren Job es ist, unsere bauliche Zukunft zu gestalten, ist diese Weltuntergangsmodenschau ein mehr als jämmerliches Armutszeugnis. (Der Standard, 24.5.2021)
Bleibt, Stichwort Deutschland, die Frage, was man halten soll vom deutschen Beitrag in den Giardini, ersonnen von einem Architekten, der für radikale Schritte bekannt ist. Das Team um Arno Brandlhuber negiert die Form der Ausstellung als solcher, indem es Venedig nur nutzt, um für seine Internet-Links mediale Aufmerksamkeit zu erhalten und QR-Codes in coole white cube installations zu verwandeln. Eine bewußt gesetzte Provokation, über die sich in den deutschen Medien – im Unterschied zu sonst so manchen Kommentaren – niemand so richtig aufregen will.
Und hier noch der Link zum Scannen:
Die eigentliche, hinter der Provokation lauernde Wahrheit allerdings wird ausgeblendet: Dass nämlich das Digitale und Analoge ein wunderbares Paar abgeben, das sich gegenseitig stärkt und gerade nicht in einem gegensätzlichem Verhältnis zueinander steht. Lieber Herr Brandlhuber, es ist ja nett, das Sie uns mit ihrem Rückblick aus dem Jahre 2038 Mut machen wollen und dem Weltuntergangsgeraune etwas entgegensetzen. Zugleich ist Ihr Beitrag aber der dystopischte von allen, indem er das analoge Erleben von Ausstellungen als unzeitgemäß verwirft und uns somit die Perspektive VENEDIG! dauerhaft zerstören will. Das könnten wir Ihnen übelnehmen – wenn’s nicht so albern wäre.
Denn Venedig zu besuchen lohnt sich immer, erst recht in post-Corona-Zeiten. Das ist das schlichte, jedem Venedigreisenden bekannte Geheimnis beider Biennalen, sei es jener der Kunst oder jener der Architektur: Es scheint völlig belanglos zu sein, was im grandiosen Arsenale oder den wunderbar anachronistischen Pavillons in den Giardini gezeigt wird. Die Aura dieser Stadt adelt noch den letzten bullshit. Und von irgendwo nimmt man dann doch die eine oder andere Inspiration mit.
Auf die Ausstellung, die Antworten gibt auf die Fragen des Bauens heute, wartet die Welt bis heute offenbar vergeblich. Vielleicht sollte man dieses Projekt angehen, und zwar in dem Land, in dem die europäische Baukultur durch die Ideologen der Moderne, die Verachtung der historischen Bausubstanz, die Industrialisierung des Bauwesens und den Drang nach „Sauberkeit“ mehr gelitten hat als anderswo: in Deutschland.
Hallo Jan,
„carbon foodprint“ (oben im Absatz nach dem Sarkis-Zitat) ist ein schönes Wortspiel, aber gehört das nicht eher in der Bereich der Grillabend-, statt der Architekturkritik?
😉 LG Karsten
Hallo Carsten, weiß ja nicht wie du grillst, aber wir legen Bratwurst auf den Rost!
LG zurück!
1. Was ist am Grillen zu kritisieren?
2. Das mit der Bratwurst glaube ich nicht.
Da ham sich ja 2 gefunden
A
So. Das bleibt jetzt 24 h online, dann wird das Kasperletheater wieder geschlossen!