Die Denkmalpflege und ihre Zwei-Klassen-Gesellschaft

Der klassische Denkmalbegriff ist ein Fossil und ignoriert die Wirklichkeit unserer Städte.

Ein Beitrag zum 100. Geburtstag des Kunsthistorikers Willibald Sauerländer am 29.2.2024

von Jan Kobel, Februar 2024

Foto: Stadt als Wüste. Gelsenkirchen, 2024 (Foto: Ramon Schack)

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Die Denkmalpflege kann die Versäumnisse der Stadtplanung nicht ersetzen.
(Holger Reinhard, Landeskonservator Thüringen, 2023)

In den 60er Jahren wurde es unübersehbar, dass Substanz und Lebensqualität der deutschen Städte durch die Praxis des „Wiederaufbaus“ massiv bedroht waren. Zu jenen, die damals eine Neuorientierung der Denkmalpflege forderten, gehörte der Kunsthistoriker Willibald Sauerländer (1924 Waldsee – 2018 München).

Vor knapp 50 Jahren, anläßlich des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975, hielt Sauerländer vor Vertretern der westdeutschen Landesämter in diesem Kontext einen weitblickenden Vortrag zu grundsätzlichen Fragen des Denkmalschutzes. Titel des Referats: „Erweiterung des Denkmalbegriffs?“

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HiStory Hotels – ein neues Konzept von Hotellerie für das Erleben von Residenzkultur in Thüringen

Autoren: Judith Rüber und Jan Kobel
Foto: Meisterzimmer, Leipzig / © jankobel.de

Dies ist das Manuskript eines Impuls-Vortrages, den Jan Kobel am 30.11.2023 im Kontor in Erfurt auf einer Veranstaltung des TMIL (Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft), der LEG Thüringen und der IHK Erfurt zum Thema „Innenstädte mit Zukunft“ gegeben hat.

Dieser Impulsvortrag fußt auf dem Artikel Das Ziel heißt Zuzug, der Weg Tourismus, den wir im März 2021 in seiner Kurzversion hier und in seiner ausführlichen Version hier veröffentlicht haben.

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Das Ziel heißt Zuzug, der Weg Tourismus (Kurzfassung)

Die Kleinstaaten haben Deutschland zum gebildesten Lande der Welt gemacht. (Wilhelm von Kügelgen, 1865)

© Karte: Zeit-Magazin 10/2021 vom 3. März 2021
© Text: Judith Rüber und Jan Kobel

(Diese Artikel ist eine Kurzfassung eines ausführlichen Artikels vom März 2021, der hier einzusehen ist)

Die Prüfung der Thüringer Residenzkultur als Kandidat für das UNESCO-Weltkulturerbe durch die aktuelle Landesregierung ist ein wichtiger Schritt, dieses kulturelle Erbe nicht nur zu respektieren und zu sichern, sondern auch sichtbar und erlebbar zu machen. In einem zweiten Schritt sollte das Tourismuskonzept des Landes kongenial angepasst werden. Diese Beitrag möchte dafür einen Weg aufzeigen.

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Schuss, Kette, Pixel – die Renaissance der traditionellen Jacquard-Weberei in Sachsen

(alle Fotos © Jan Kobel / aus den Jacquard-Webereien in Crimmitschau und Braunsdorf / Niederwiesa. Titelbild: Seidenweberei von ca. 1900)

„Industriekultur“ ist ein Topos unserer Zeit von wachsender Bedeutung. Er hat architektonische, städtebauliche, handwerkliche, soziokulturelle und sogar energiepolitische Bezüge. Nur selten verstehen wir darunter die Fortführung eben jener technischen Kultur, die die baulichen Zeugen aus der Zeit der industriellen Entwicklung Europas einst beherbergten. Doch es gibt sie wieder, die Manufakturen und Fabriken, die heute noch fabrizieren wie vor 150 Jahren.

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32 | 1938 | 0 – Die Synagogen in Thüringen

Titelbild: Der Standort der großen Synagoge des Architekten Richard Klepzig (1860 – nach 1923) in Gotha heute.

32 Bild- und 32 Texttafeln auf extra entworfenen und angefertigten Stelen vergegenwärtigen die Geschichte der Synagogen und des jüdischen Lebens in Thüringen. Die Ausstellung ist zugleich als Wanderausstellung konzipiert

Altenburg
Arnstadt
Aschenhausen
Barchfeld
Berkach
Bibra
Bleicherode
Eisenach
Ellrich
Erfurt
Gehaus
Geisa
Gera 1/2
Gleicherwiesen
Gotha
Heiligenstadt
Hildburghausen 1/2
Ilmenau
Meiningen
Mühlhausen
Nordhausen
Schleusingen
Schmalkalden
Schwarza
Sondershausen
Stadtlengsfeld
Suhl
Themar
Vacha
Walldorf

Sichtbar machen, was aus dem Blick geraten ist und Jahr für Jahr unsichtbarer wird, das ist das Ziel einer Ausstellung von Judith Rüber und Jan Kobel im Milchhof Arnstadt vom 24. September bis zum 14. November 2021. Ein Ausstellungsprojekt des Milchhof Arnstadt e.V. im Rahmen der und unterstützt von den ACHAVA Festspielen.

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Venezianische Maskerade 2021

Der deutsche Pavillon in den Giardini. Die Negation einer Ausstellung – als Ausstellung.

Die Biennale Architettura in Venedig gilt als die bedeutendste internationale Visionenschau für Architektur und Städtebau. Angesichts der scheinbar exponentiell wachsenden Herausforderungen könnte man vermuten, dass Ziele und Erwartungen hoch gesteckt sind.

Unsere Städte verlieren seit Jahrzehnten an Lebensqualität, die ländlichen Regionen kontinuierlich Menschen. Die Bauwirtschaft ist für ein Drittel der weltweiten CO2-Emmision verantwortlich, Bauen im Bestand, Umnutzung und urbane Verdichtung sind zweifelsfrei die Themen der Zukunft. Viele Städte suchen Wege, um das Auto aus den Innenstädten herauszubekommen.

Die Antworten, die in Venedig auf diese Herausforderungen gegeben werden, erscheinen allerdings dürftig – soweit ein langer Tag im Arsenale und in den Giardini überhaupt einen repräsentativen Einblick erlaubt. Um die gesamte Architektur-Biennale zu überblicken, inkl. der vielen über Stadt und Lagune verteilten Sonderinitiativen, ist ein mehrtägiger Aufenthalt notwendig.

Die Biennale di Architettura findet, wie die Kunstbiennale, in den vermutlich ältesten Industriekulturen der Welt statt. Den Werftanlagen Venedigs aus dem 15. Jahrhundert. Mehr braucht es nicht, um immer wieder zu kommen.

Venedig im Sommer 2021, frisch wiedereröffnet nach harten Lockdowns, ohne asiatische und amerikanische Touristen, ist eine Verlockung, der Venedigliebhaber nicht widerstehen können. Eine wunderschöne Stadt, in der Touristen und Einheimische sich scheinbar die Waage halten, in der das normale Leben, das ja allen Gerüchten zum Trotz nie aufgehört hat, wieder sichtbar wird. Dazu eine Ausstellung unter dem vielversprechendem Titel „How will we live together?“, kuratiert vom libanesisch-amerikanischen Architekten Hashim Sarkis:

„In einer Welt des zunehmenden ökonomischen Ungleichgewichts, die sich auch politisch immer mehr spaltet, rufen wir die Teilnehmer auf, sich Räume auszudenken, in denen wir wohlwollend miteinander leben können. Die Betonung liegt auf miteinander.“  (Hashim Sarkis)

Bei aller moralischer Unanfechtbarkeit dieses „Aufrufs“ wünschte man sich freilich etwas mehr analytisches Denken als Basis einer Ausstellung, die die Architektur der Zukunft zu bestimmen sucht. Sich „Räume auszudenken“ ist schon sehr idealistisch in dem Sinne, dass die Frage nach den Gründen des „ökonomischen Ungleichgewichts“ gar nicht gestellt wird. Von „carbon foodprint“, Bauen im Bestand und Flächenverbrauch, Sondermüllproduktion oder städteplanerischen Renaissancen ganz zu schweigen. Von all dem aber kaum ein Wort.

Noch scheint alles gut in Venedig. Architektur, städtische Strukturen, Denkmalpflege, Wandgestaltungen. Eigentlich der perfekte Ort für eine Architekturausstellung.

Die Ausstellung selbst macht schnell klar: Sie will auf die drängenden Fragen des Bauens keine Antworten geben, da sie diese schlicht und einfach ignoriert. Hashim Sarkis und seine Co-Kuratoren sind dem Denken des 20. Jahrhunderts verhaftet, einer Moderne, die dem Kult des genialen Architekten huldigt. In dieser Welt brilliert der Planer durch aufsehenerregende Einfälle, deren Bezug auf die drängenden Fragen der Menschheit durch freies Assoziieren auf den sie begleitenden Texttafeln irgendwie nahegelegt wird.

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Das Ziel heißt Zuzug! Der Weg heißt Tourismus.

Die Kleinstaaten haben Deutschland zum gebildesten Lande der Welt gemacht. (Wilhelm von Kügelgen, 1865)

© Karte: Zeit-Magazin 10/2021 vom 3. März 2021
© Text: Judith Rüber und Jan Kobel

Die Prüfung der Thüringer Residenzkultur als Kandidat für das UNESCO-Weltkulturerbe durch die aktuelle Landesregierung ist ein sehr wichtiger Schritt, dieses kulturelle Erbe nicht nur zu respektieren und zu sichern, sondern auch sichtbar und erlebbar zu machen. In einem zweiten Schritt sollte das Tourismuskonzept des Landes kongenial angepasst werden. Diese Beitrag möchte dafür einen Weg aufzeigen.

1. Einleitung:

Wie vom ZEIT-Magazin im März 2021 beeindruckend visualisiert, hat das Land Thüringen ein deutliches Alleinstellungsmerkmal. Es besteht in der Vielfalt und Dichte seiner Residenzen, die sich der „Kleinstaaterei“ dieses Landes verdanken. Wenn Thüringen auch in Mentalität und Baukultur viel mit Franken, Sachsen-Anhalt und Sachsen gemein hat, unterscheidet es sich doch von seinen unmittelbaren Nachbarn, erst recht von allen anderen deutschen Staaten, dadurch, dass es in seiner Geschichte bis 1918 nie zentralistisch regiert war. Dass das ein positiv zu bewertendes Alleinstellungsmerkmal sei, klingt auf den ersten Blick erstaunlich. Es wird aber verständlich, wenn man sich folgendes vor Augen führt:

Die vielen kleinen Fürstentümer Thüringens konkurrierten seit etwa der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht durch militärische Macht gegeneinander, wie die großen Fürstentümer und Königshäuser. Sie eiferten darum, sich durch die Pracht ihrer Bauten und Gartenanlagen, die Qualität ihrer Sammlungen, durch den Geist ihrer Hofkultur und die Erlesenheit ihrer Komponisten, Hofkapellen, Dichter*innen und Theater hervorzutun. Weimar ist das bekannteste Produkt dieser Konkurrenz, die Leute wie Goethe und Schiller, Herder und Wieland nach Thüringen lockte, und der es letztlich auch zu verdanken ist, dass Thüringen heute stolz auf das Bauhaus sein darf.

Schloss Friedenstein in Gotha. 1,15 Millionen Sammlungsgegenstände.
Ein Universum für sich. Gesehen aus dem Herzoglichen Palais

Wichtig ist zu erkennen, dass die Thüringer Residenzkultur nicht nur von touristischer und kultureller Bedeutung ist, sondern ein wesentlicher Beitrag zur Regionalentwicklung und für den Zuzug von Menschen sein kann. Die demoskopischen Prognosen für einzelne Regionen des ostdeutschen Raums sind dramatisch. Zu den größten Herausforderungen des Landes Thüringen gehört es deshalb, das Veröden der kleinen Städte und der ländlichen Regionen abseits der A4 zu stoppen. Zuzug wird zu einem immer wichtigeren Wirtschaftsfaktor.

Voraussetzung dafür ist eine Konzertierung von Infrastruktur-, Wirtschafts- und Kulturpolitik mit einer landesweiten Tourismuskonzeption.

Die aktuell gültige, im Auftrag des Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft unter der Mitwirkung von einem halben dutzend Agenturen und 15 Workshops erstellte Tourismusstrategie des Landes Thüringen umfasst ohne Anhang 73 Seiten. Sucht man darin nach den Begriffen, mit denen sich, im Marketing-Jargon, die USP (unique selling points – Alleinstellungsmerkmale) Thüringens festmachen, kommt man auf folgende Resultate:

Residenz: 0 Treffer
Residenzstädte: 0 Treffer
Schlösser: 0 Treffer
Kunst- oder Wunderkammer: 0 Treffer
Gärten: 0 Treffer
Kleinstaaten: 0 Treffer
Fürsten: 0 Treffer
Johann Sebastian Bach: 0 Treffer
Heinrich Schütz: 0 Treffer
Lukas Cranach: 0 Treffer
usw.

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Hier will ich wohnen! Die Alte Schokofabrik ist eine Riesenchance für Greußen.

Das Hauptgebäude. Verfallen, aber das Mauerwerk hält noch 100 Jahre. Naturstein-Mauerwerk, in roten Ziegel gefasst. Wunderschöne Metall-Rundbogenfenster

MDR Thüringen vom 29. Dezember 2020: Die ehemalige Schokoladenfabrik soll abgerissen werden, Bürgermeister René Hartnauer (SPD) „zeigt sich erleichtert, endlich gehe es auf der Brachfläche neben dem Bahnhof weiter“. Die Kosten liegen bei zwei Millionen Euro, 200.000 davon muss die Stadt selbst tragen. Den Rest trägt, einmal mehr und absurderweise, irgendein Förderprogramm der Thüringer Abriss-, äh Aufbaubank namens GRW, das dafür eigentlich nicht zugeschnitten ist: 
https://www.aufbaubank.de/Foerderprogramme/Gemeinschaftsaufgabe-GRW

Kleine erhaltenswerte Details wie diesen Erker gibt es immer. Meine Frau will da einziehen!

Der Bestand: Ein 12.000 Quadratmeter großes Gelände mit Gründerzeitarchitektur von unverwüstlicher Mauerwerksqualität, auch wenn die Dächer längst eingestürzt sind. Mehrere Ruinen. Direkt am Bahnhof, sich hofähnlich öffnend zur Stadt, mit reichlich Aussenfläche. Ein Objekt, aus dem sie in Berlin und Hamburg sofort einen kulturellen und wirtschaftlichen Hotspot machen würden, bis die Preussischen Kappen glühen. Hier aber sind wir in Greußen, in Thüringen, in der Provinz nördlich von Erfurt. Da ist das nicht so einfach.

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Mehr Schande als Fleck? Die Verachtung historischer Bausubstanz und die Ideologie der Moderne in Deutschland

Eine Analyse mit Handlungsperspektive

(Titelbild: Kammgarnspinnerei Wernshausen, errichtet 1836-1920, Abriss 2009, © TLDA)

Wir bauen eine neue Gesellschaft, aber diese Gesellschaft darf nicht in die Gehäuse der alten kriechen.
Hans Sharoun, Stadtbaudirektor Berlin 1945/46

Verfasser: Jan Kobel, Judith Rüber, im Januar 2021

A_Abstract / Zusammenfassung und Nachweiszweck:

1) Von allen baulichen Zeugnissen, auf die Deutschland zurückblicken kann, ist ein Gebäudetypus am meisten von Zerstörung bedroht: die Industriearchitektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Kein anderer Typus steht so oft leer und kein anderer Leerstand bedeutet so schnell Abriss.
Damit gehen nicht nur Jahr für Jahr wertvolle Architekturen und Denkmäler verloren, die von der Geschichte einer Industriekultur zeugen, die Deutschland bis heute prägt. Diese Abrisse sind auch in ökologischer Hinsicht unverantwortlich, da der Erhalt und die Wiederherstellung dieser Gebäude ein vielfaches nachhaltiger ist als ihr Abriss und eventuelle Neubauten. Schließlich sind diese Fabrikarchitekturen durch keinen Neubau zu übertreffen was ihren Erlebnis- und Nutzwert angeht für Wohnen, Handel, Kunst und Gewerbe.

2) Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, Deutschland zahlreiche Beispiele erfolgreicher Umnutzungen von Industriekulturen vorweisen kann, ist der Abriss dieser Gebäude nicht gestoppt. Das liegt an zwei Gründen, wie diese Abhandlung nachweisen will:
Zum einen an einem gebrochenem Verhältnis der deutschen Baukultur zu ihrer eigenen Geschichte, die durch zwei politisch-moralische Zusammenbrüche im 20. Jahrhundert geprägt ist, die andere europäische Staaten so nicht erlebten. Dabei kommt der Ideologie und dem Absolutheitsanspruch der Moderne eine nicht unerhebliche Rolle zu: Schön und gut ist bis heute nur, was neu ist!
Zum anderen der ungebrochenen Bereitschaft des Bundes und der Länder, erhebliche Mittel für sog. „Brachenberäumungen“ zur Verfügung zu stellen. Das erscheint problematisch vor allem deshalb, weil diese Mittel ausgeschüttet werden völlig getrennt davon, inwiefern die durch diese Gelder ins Werk gesetzten Abrisse tatsächlich ihrem Anspruch, Flächen „wiederzubeleben“, gerecht werden. Wie gezeigt werden kann, sind diese Mittel nicht nur Voraussetzung für viele Abrissprojekte, sondern ihr Motor. Bund und Ländern kommt hier eine Verantwortung zu, die nur selten diskutiert wird.

3) Deshalb kann ein ernsthafter Versuch, dem deutschen Abrisswahn gegen (nicht nur, aber insbesondere) die unwiederbringlichen Industriearchitekturen unseres Landes entgegenzutreten, nur darin bestehen, die Fokussierung auf denkmalpflegerische Aspekte auszuweiten auch auf Aspekte der ökologischen Nachhaltigkeit, der gewerblichen Nutzungspotenziale und der positiven sozialen Folgeeffekte für Städte und Kommunen. Zugleich muss es gelingen, die Bundes- und Landesbehörden von der wirtschaftspolitischen und stadtplanerischen Schädlichkeit ihrer Vergabepolitik zu überzeugen. Eine Petition an den Deutschen Bundestag ist in Vorbereitung.

B_Argumentation & Fallbeispiele / Zur zerstörerischen Dialektik des Begriffes Schandfleck

Dass ungenutzte Gebäude mehr oder weniger dem Tode geweiht sind, ist auch in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Bei Kirchen, Schlössern und Burgen haben wir gelernt, dass man sie nicht abreißen darf, auch wenn sie über Jahrzehnte ungenutzt bleiben. Hier herrscht ein Tabu, und das ist gut so. Bei profanen Gebäuden und industriellen Bauten ist das noch anders. Insbesondere die ostdeutschen Zeugen der industriellen Umwälzungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die den Abrisswellen der BRD bis 1990 entzogen waren, verschwinden, sofern sie nicht neue Nutzungen gefunden haben, Jahr für Jahr zu Dutzenden. Die Verluste sind erheblich.

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Erzgebirge? Chemnitz?

Es ist wie immer alles anders als wir denken

// Mit dem Entdecken des eigenen Landes, im nahen wie im fernen, stirbt meist nicht nur ein Haufen dummer Vorurteile. Das Erkunden fremder Regionen und das Erspüren ihrer Unterschiede dient auch dem: zu begreifen, wie sehr wir alle bis heute durch die Erfahrungen unserer Vorfahren geprägt sind. Das kann ziemlich spannend sein. Das Erzgebirge, eine der dynamischsten Regionen des Ostens, war uns soeben erst ein besonders gutes Beispiel für beides.

Titelbild: Weihnachtsschmuck à la Erzgebirge, gesehen in Stollberg

Ich weiß, wovon ich rede. Ich komme ursprünglich aus München, einer Stadt, die sich selbst natürlich für den Mittelpunkt der Welt hält, und von der aus man gerne nach Süden schaut, gelegentlich nach Norden oder Westen, ganz selten aber in den Osten. Wer in München erzählt, er fahre ins Erzgebirge, zum Beispiel nach Chemnitz und nach Schneeberg, um dort Urlaub zu machen, gut zu essen und Ausstellungen zu besuchen, gilt als Scherzkeks. Erzgebirge?! Chemnitz?! Hallo?!

Nein, dieser Artikel soll kein Wessi-bashing werden, und auch kein Schönreden einer Region, in der die völkischen Angstmacher für Deutschland an die 30 Prozent erzielen.

Es geht darum, anhand eines kleinen 36-Stunden-Ausflugs, der uns stark beeindruckt hat, exemplarisch nachzuvollziehen, warum der Osten Deutschlands immer wieder und überall ein vor Überraschungen überquellendes Land ist. In diesem Fall das südwestliche Sachsen.

Wunderschön: Schneeberg vom Turm der Kirche St. Wolfgang gesehen
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Die Bachs, die Unstrut, das Welterbe und ich

// Wie ich auf einer Fastenwanderung durch die Fremde im eigenen Land nicht mehr zu entscheiden wußte, ob ich über den spürbaren Unwillen der Tourismusverantwortlichen, das Land aus der Perspektive des zeitgenössischen Reisenden zu betrachten, weinen oder glücklich sein sollte, und, während ich noch darüber nachsann, wie schön es ist, niemandem zu begegnen, mitten im 17. Jahrhundert landete und eine verwegene Idee von mir Besitz ergriff.

Die Burg Wendelstein beim Memleben. Keine Wegelagerer weit und breit

Von Erfurt unsere Arnstädter Gera hinunter nach Norden, durch das Erfurter Becken bis Sömmerda, sodann an der Unstrut entlang Richtung Naumburg, eine Woche hindurch versorgt nur mit Tee, klarer Gemüsebrühe und Wasser, so war es geplant. Aufgrund der großen Hitze schrumpfte die Reichweite zwar bis nach Laucha, dennoch hatte ich danach einen klaren, keineswegs nüchternen Blick auf meine inzwischen schon nicht mehr so neue Heimat. Schuld daran waren schier endlose Weizenfelder, drei Schlösser und ein Buch.

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Mehr Licht und Vernetzung – auch für die Thüringer Industriekultur!

Das TRAFO in Jena. Hier kurbelt die Industriekultur.

Die Kleinstaaten haben Deutschland zum gebildetsten Lande der Welt gemacht. Jetzt aber sind sie nicht mehr möglich und müssen großen politischen Nothwendigkeiten weichen.
Wilhelm von Kügelgen, 1865

Dabei kann es nicht nur um die – rückblickende – museale Aufarbeitung und Präsentation dieser Industriegeschichte gehen. Es muss genauso darum gehen,  Industriekulturen an den Originalschauplätzen erlebbar und auffindbar zu machen und in neue Nutzungen zu bringen.

Referat vor dem Städtenetz SEHN in Bad Langensalza
vom 27. Juni 2018 / von Jan Kobel

Wer sich in Thüringen für Industriekultur oder für Projekte zur Umnutzung verfallender Industriearchitekturen interessiert, wird feststellen: In allen Städten und Winkeln des Landes entstehen nach und nach Initiativen, die versuchen, das INDUSTRIELLE ERBE zu bewahren oder durch Kunst und Musik, Büros und Werkstädten, Co-Working-Spaces oder Ladengeschäfte in einst industriell genutzte Räume wieder Leben zu bringen. Er wird aber auch feststellen: meist wissen diese nichts oder wenig voneinander, eine Kooperation findet kaum statt, und vor allem sind diese Projekte für Interessierte schwer aufzufinden. Mehr Licht und Vernetzung – auch für die Thüringer Industriekultur! weiterlesen

Analoge Stadt II: Stirbt die Stadt, stirbt die Gemeinschaft


An der Anzahl von Kindern und Alten auf den Straßen erkennt man, wie lebenswert eine Stadt ist
Jan Gehl / dänischer Stadtplaner

Rückbesinnung und Ausblick auf urbane Lebensräume im digitalen Zeitalter
Fünf Thesen


1_Was ist passiert?

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert
a_ der Bewegung raus aus der Stadt in die Suburbanität. Beispiel Gartenstadt und Siedlungen
b_ der Ablösung der Stadtplanung durch die Verkehrsplanung. Zerstörung der urbanen Strukturen
c_ des Übergangs vom handwerklichen zum industriellen Bauen. Verlust der lokalen Identität des Bauens
d_ des Verlustes einer sich einfügenden Architektur zugunsten einer exhibitionistischen Architektur der Avantgarde Analoge Stadt II: Stirbt die Stadt, stirbt die Gemeinschaft weiterlesen

Das ist Thüringen – in der Selbstbewußtseinsfalle

Thühühüringen – David Bowie ist auch schon mal drüber geflogen!
Rainald Grebe auf youtube / 2004 

Es war 2005, wir hatten soeben erst die Thüringer Residenzstädte und Kulturlandschaften entdeckt und nach langer Suche unseren Lebensmittelpunkt in deren Mitte nach Arnstadt verlegt, als wir in einer Zeitung ein Interview mit einem Repräsentanten der Stadt Erfurt lasen, der den Satz sagte:
Die Stadt Erfurt hat ein Wahrnehmungsproblem. Das ist Thüringen – in der Selbstbewußtseinsfalle weiterlesen

Die neuen Chancen der Provinz // Viele kleine Städte haben die perfekte hardware, aber sie wissen es nicht

Provinz im heutigen deutschen Sprachgebrauch ist ein negativer Begriff – im logischen Sinne: Wer Provinz denkt, denkt automatisch das andere mit: Metropole. Und zwar als Maßstab. Provinz ist das Gegenteil davon, und das ist durchaus wertend gemeint. 
(Foto oben: documenta 2012 in Kassel) Die neuen Chancen der Provinz // Viele kleine Städte haben die perfekte hardware, aber sie wissen es nicht weiterlesen

Das Wuppertal-Syndrom // Bürgerengagement als Störfaktor von Verwaltung

Nicht mehr ganz frisch, aber jetzt erst entdeckt und egal, weil zeitlos: eine sehr  freundliche brand-eins-Reportage von Peter Lau (Fünf Thesen über eine arme Stadt / Juli 2013) über sehr geduldige Aktivisten, Initianden und Bürgerprojektler in Wuppertal, die sich sehr, sehr freundlich über ihre Kommunalverwaltung äußern. Klar, was sollen sie auch anders tun?

Das geht zum Beispiel so:
Der Unternehmensberater Carsten Gerhardt (…) hatte die Idee, die rund 22 Kilometer lange (ehemalige Bahn-)Strecke zu einem Rad- und Wanderweg zu machen, fand Mitstreiter, gründete den Verein Wuppertal Bewegung e.V. und wandte sich an die Stadt. Die war begeistert. Theoretisch jedenfalls.

„Wir haben eine Machbarkeitsstudie geschrieben“, erzählt Gerhardt, „in der wir skizziert haben, was der Mehrwert der Trasse ist und welche Fördermittel möglich wären. Das Budget sollte zwischen 12 bis 16 Millionen Euro betragen. Wir haben sie der Stadt vorgestellt, aber die sagte, sie habe nicht die nötigen Eigenmittel – 20 Prozent der Fördersumme muss die Stadt selber aufbringen. Also haben wir Geld gesammelt: drei Millionen Euro in den ersten vier Monaten 2007.

Wuppertal ist nicht schön. Der Autogerecht-Wahn hat die Stadt nach dem Krieg hat die Stadt zerstört. Hin und wieder schöne 50er Jahre, wie hier.

Damit sind wir zur Stadt, aber die sagte, sie habe nicht die Kapazitäten, einen Förderantrag zu stellen. Also haben wir den Antrag selber geschrieben. Zwei von uns haben da viel Freizeit reingesteckt, außerdem hatten wir zwölf Ingenieure, die einzelne Bauwerke begutachtet haben. Im Mai 2008 kam die Zusage zur Förderbereitschaft.

Wir sind damit zur Stadt gegangen, aber die sagte, sie könne den Bau nicht durchführen, weil sie keine Kapazitäten habe. Da haben wir die Wuppertaler Nordbahntrassen GmbH gegründet, eine gemeinnützige Gesellschaft, die die Trasse bauen, 20 Jahre betreiben und die Stadt von allen Pflichten freistellen sollte. Im April und Mai 2010 haben wir zwei, zweieinhalb Kilometer fertiggestellt.

Danach hat die Stadt das Projekt an sich gezogen.“ Die Begründung: Vorschriften wurden nicht eingehalten, auch förderrechtlich sei nicht alles ordentlich gelaufen. (brand eins / 07.2013 / S. 143)

Lieber Peter Lau, liebe brand-eins-Redaktion, DANKE! Dieser Artikel öffnet uns die Augen: wir haben es  in Deutschland mit einem stereotypen destruktiven Verhaltensmuster, einem autoritären Syndrom zu tun! Und dank dieses Artikels und dank der famosen Wuppertaler Bürger nenne ich dieses Syndrom ab heute das Wuppertal-Syndrom!

Bis heute faszinierend: die Schwebebahn. Einmalig.

Dieses geht – ich darf das jetzt mal sagen, ich wohne ja nicht in Wuppertal und schreibe auch nicht darüber in einem angesehenen Magazin – ziemlich genau so:

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Quinquennale Analoge Stadt Leben in die Provinz!

Ein Projekt für Arnstadt und die Europäische Stadt 2019 / 24 / 29 ff

„Nur der Stadtbürger ist Staatsbürger“
Alexander Mitscherlich / Die Unwirtlichkeit unserer Städte


Gliederung:
Die Idee:
Die Leerstände der Stadt als Bühne eines internationalen Dialogs zwischen Kunst, städtischem Raum, Bürgern und Besuchern
Das Problem:
Viele Kleinstädte stagnieren – warum?
Der Musterfall:
Arnstadt in Thüringen
Die Perspektive:
Soft gentrification als (Teil von) Wirtschaftspolitik
Das Projekt:
Die Analoge Stadt – Kristallisationskeim für eine lebendige Stadt
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Die Hipster-Lemminge Felix Rohrbeck in der ZEIT über Provinzflucht

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Die synchronisierte Individualität des Nagels, interpretiert von Günter Uecker / Kunsthalle Baden-Baden 2010

Sie hassen die Provinz – so lautet ein Artikel von Felix Rohrbeck in der ZEIT vom 25. September 2014. Der Artikel beschreibt und belegt empirisch ein Phänomen innerdeutscher Mobilität der 20 bis 35-Jährigen, das es so noch nie gegeben hat: immer weniger ist demnach die Perspektive eines Arbeitsplatzes und dessen Bezahlung handlungsleitend, immer mehr dagegen jene Lebensqualität, die nur die angesagten Quartiere der Metropolen bieten können.
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